Tanz der Schatten II


Historica Aventuria 7 n.Hal   



Niemand wußte woher der Schattenrat gekommen war. Kaum ein Sterblicher ahnte von seiner Existenz. Und doch hatten viele ihr Leben dem Rat zu verdanken. Dem Rat, der den Hunger und den Haß derer kontrollierte, denen weder das Leben noch der Tod vergönnt war.


Der neue Schatten

Personen : Gruppe um Gerrik   Gruppe um Aaron   Amstrad de Brion   Kobald Surin   Ophelia Lugotaan  



 18.-20.Rondra 7 n.Hal

Durch die Führungspersönlichkeit des Hohen Herren Kobald Surin und dem diplomatischen Geschick der Wohlgeborenen Ophelia Lugotaan trafen sich die verbleibenden Mitglieder des Schattenrates am Abend und redeten die nächsten zwei Tage ohne Unterbrechung. Aaron erstattete Bericht über den Kampf, den Auftrag der Brions und vertrat Gerrik, dessen geschwächter Zustand ein Erscheinen verbot. Gerrik wußte nichts davon. Die Schattenläufer, die am Verrat teilgenommen hatten, wurden gerichtet. Die anderen Schattenläufer übernahmen die Bewachung des Schlosses.

Die Gefährten ruhten und erholten sich. Sie wurden gut versorgt und ihre Kräfte kehrten zurück.

Aaron, Zeziliana und Berim wechselten sich bei der Totenwache Thalions ab. Die Magierin schloß seine Wunden und richtete ihn ansehnlich her. Sie kleideten ihn in seine typische, elegante Garderobe des Lieblichen Feldes und bahrten ihn vor dem Gartenhaus der Zwölfe auf. Aaron bettete einen Skorpion aus Bernstein, verziert mit vielen kleinen Rubinen und Cytrinen, auf seine Brust.

Aaron stand hinter dem Freiherrn Amstrad de Brion. Er hatte seine Position vor der Tür des Portals nicht verlassen. Er verharrte dort regungslos und unansprechbar. Aaron beugte sich an sein Ohr und flüsterte ihm etwas zu.

Amstrad hörte seine Worte. Sie bahnten sich ihren Weg in seinen Geist und in sein stilles Herz. Über Amstrads Gesicht lief eine einzige Träne.

Gerrik war sehr niedergeschlagen. Er war der festen Meinung versagt zu haben. Sein Auftrag, die Brions zu schützen, hatte er nicht erfüllt. Er hatte den Tod der Freiherrin nicht verhindert. Gerrik sprach den ganzen Tag kein Wort.

Boromur hatte sich das alles anders vorgestellt. Der Ärger auf dem Hinweg war so wie gedacht. Das Fest war, vom Ende einmal abgesehen, wunderbar gewesen. Doch die unglaublich Feigheit dieses Rates hat Boromur schwer enttäuscht. Was für eine wertlose Ansammlung von Feiglingen. Und die wenigen Starken waren zur Hälfte vom Bösen zerfressen und gewillt, ihresgleichen auszulöschen. Abgesehen von den Brions und jener Dame, die sich zumindest noch demonstrativ dazugestellt hatte, niemand, den es zu würdigen galt. Und vielleicht noch jenen Magier, Kobalt Surin hieß er doch. Oder so ähnlich.

Xara, die am wenigsten Verletzungen erlitten hatte, folgte ihrer Neugier. Sie schaute sich im Schloß weiter um. Zu ihrer großen Enttäuschung kam sie immer noch nicht in den zweiten und dritten Stock. Der Rat tagte, die Schattenläufer kontrollierten die Gänge. Wenigstens der erste Stock und das Erdgeschoß wurden gründlichst erforscht. Xara entdeckte immer neue einzigartige Dekorationen, Schmuckstücke und Gemälde. Sie konnte beobachten, wie der Rüstungsraum aufgeschlossen und ein paar dunkle Waffen fortgebracht wurden. Xara erfuhr, daß sie zerstört werden würden.

Ranks Kopf war leer. Es gefiel ihm hier nicht mehr. Kampf, Tod und Politik frustrierten ihn. Er wünschte sich so weit weg wie möglich.

Kobalds Faust knallte auf den Tisch. Ophelia rollte die Augen. Die Engstirnigkeit und Feigheit ihrer Mitstreiter war erbärmlich. In Kobalds Augen war der Rat träge und unbrauchbar geworden. Der Zusammenschluß hatte zu gut funktioniert. Der Fluch war erträglich geworden, zu viele der niederen Familien hatten sich an das reiche Leben gewöhnt. Sie führten ihre Aufträge nicht mehr selbst durch, sondern schickten Untergebene. Aus den Rittern waren Schwächlinge geworden. Und mit dem Verrat und dem Verlust ihres Obersten waren sie wie kopflose Kinder. Letzten Endes bewies das schreckliche Vorhaben der Delemars, den Rat zu vernichten und die alleinige Macht ohne Kodex zu genießen und zu mißbrauchen, daß der Rat bereits auseinandergebrochen war.

Ophelia vermittelte in den Parteien. Die einen waren ihrer Aufgabe müde und wollte die Erlösung durch das Portal, wie sie glaubten. Die anderen wollte auf keinen Fall etwas ändern und versperrten ihre Augen. Sollte Kobald Surin die Führung übernehmen und alles würde weiterlaufen. Kobald weigerte sich. Er sah darin den Untergang. Der Rat müßte jetzt und hier neu geboren werden, in frischer Stärke und mit neuem Mut. Doch sperrten sich die anderen gegen Änderungen, wie so oft.

Die Tür zum großen Ratsaal flog auf. Der Freiherr Amstrad de Brion schritt mit finsterem Gesicht und blitzenden Augen direkt auf die leeren Stühle der Delemars. In der rechten Hand umklammerte seine Faust den schwarzen, schmalen Ritterdolch, in seiner linken hielt er eine frische rote Rose. Seine Schritte hallten durch den stillen Raum. Niemand erhob das Wort. Amstrad rammte den Dolch bis zum Heft in den schweren Eichentisch. Wie ein Donnern zerriß der Stoß die Stille. Die Mitglieder hielten den Atem an. Sorgsam und liebevoll legte Amstrad die Rose mit beiden Händen neben den Dolch. Er drehte sich in den Raum, zeigte auf die Rose und den Dolch und donnerte : "Diese beiden Symbole stehen für meine Seele. Diese beiden Symbole formen mein neues Wappen. Ich bin der Hochgeboren, Freiherr, Amstrad de Brion, Hüter des Schlosses Drachensteins im Finsterkamm, ich bin der SCHATTEN ... Niemand widersprach. Kobald lächelte. Ophelia vergaß das Ausatmen.


 21.Rondra 7 n.Hal

Die Nacht war lang. Amstrad stellte die Mitglieder am Ende vor die Wahl. Er fragte nicht mehr, er diskutierte nicht mehr und keiner der Anwesenden wagte am Morgen einen Widerspruch. Den Mitgliedern, welche die Erlösung suchten, wurde freigestellt, das Portal in einer feierlichen Zeremonie zu betreten, um dort zu finden was sie hofften. Den Mitgliedern, die aus dem Rat ausscheiden wollten, würde dies gewährt werden. Sie behielten ihre Titel und Ländereien und würden von ihren Verpflichtungen, aber auch von ihren Rechten befreit. Der Rat würde sie in strengem Maße auf Einhaltung der Gesetze des Reiches kontrollieren und sie an den Maßstäben des "Lebens" messen. Jeder, der diesen Maßstäben widerspräche, würde als zerstörerische, untote Wesenheit eingestuft und vernichtet werden. Es wurde daraufhingewiesen, daß eine Trennung, die alten, unbarmherzigen Qualen des Fluches heraufbeschwören werde. Mitglieder, die nach wie vor den alten Zweck der Gemeinschaft guthießen und die ehrenvolle Aufgabe weiterführen wollten, würden sich erneut in diesen Hallen treffen und sie erst verlassen, wenn jeder einzelne seinen Schwur auf den Kodex erneuert hätte und die weitere Existenz des Rates gesichert sei. Die Mitglieder bekamen einen Madalauf Zeit sich zu Entscheiden. Am 21. Efferd würde die Zeremonie der Erlösung und des Scheidens vollzogen werden. Ein Fernbleiben bedeutete den Ausschluß.

Boromur hatte an diesem Tag alle Hände voll zu tun. Es galt viele Tote auf die Reise zu ihren Familien vorzubereiten oder sie in der Drachenschlucht zu bestatten und für ihre Seele zu beten. Boromurs Dienst wurde dankend angenommen und er bat für den Beistand der Zwölfe. Insbesondere die Dame de Brion wurde in seine Gebete eingeschlossen.

Amstrad gab Anweisung, eine besondere Gedenktafel an seine Frau und ihr Opfer am Eingang der Schlucht anzufertigen.

In Ehre und in Gedenken an die Ritterin der Dunklen Rose des 1. Regiments des Hochlords,
die Hohe Dame Anastasia de Brion.

In ewiger Liebe - Amstrad

Auch Boromur kam ein Werk des Gedenkens in den Sinn, rief sich die Gestalt Anastasias in Erinnerung und begann seine Planung. Die meisten Gefallenen waren Gäste und Schattenläufer gewesen, die sich im Eingang und der Halle einen erbitterten Kampf mit den verräterischen Schattenläufern der Delamars und ihrer Garde geliefert hatten oder in dem verzehrenden Feuer des Golems ihr Ende fanden.

Thalion Trendfort blieb aufgebahrt. Man schickte Boten aus, die hohen Drei seiner Gilde zu benachrichtigen. Er sollte zum Nebelfest in der Tavidongrotte im Steineichenwald bestattet werden.

Die meisten Mitglieder reisten noch am Abend ab. Rank verabschiedete sich überraschend von den Gefährten und schloß sich einer Kutsche Richtung Gareth an. Er erhielt vom Freiherrn das kunstvoll verzierte Kurzschwert, einen Beutel mit 100 Dukaten und einen magischen Ring des Schutzes als Belohnung für seine Unterstützung. Kobald, Ophelia, Amstrad und die beiden Wohlgeborenen Zwillingsschwestern Ariana und Eritania der Familie Lugitari aus der gelben Sichel blieben im Schloß.

Gerrik suchte am Abend, nachdem der Trubel und die Hektik sich gelegt hatten, das Gespräch mit Amstrad und Aaron. Es ergab sich eine günstige Situation, als er die beiden im Rosenzimmer antraf. Sie waren in ein Gespräch über die Gruppe vertieft und Gerrik hörte seinen Namen. Er räusperte sich. Amstrad blickte auf. Aaron verschwand schneller als Gerrik es mit seinen Augen verfolgen konnte. Mit gesenktem Haupt näherte sich Gerrik dem Freiherrn, um sich bei diesem für sein Versagen zu entschuldigen. Amstrad hörte seinen Worten zu und als Gerrick Schattenarm aus der Scheide zog, um das Schwert an seinen Besitzer zurückzugeben, da er sich als des Schwertes nicht würdig erwiesen hatte, atmete Amstrad tief ein und ... ein Schrei kam von draußen. Berim stolperte in das Zimmer und rief: "Es hat sich bewegt, das Ding hat seinen Schwanz eingerollt und ist gelaufen. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht. Aaron, Du mußt ..." Berim hielt inne. Er murmelte eine unverständliche Entschuldigung, verbeugte sich ungeschickt vor dem Freiherrn und rannte in den Spiegelsaal. Amstrad und Gerrik schauten sich verwundert an und folgten.

Berim scheuchte das halbe Schloß auf. Aaron, Zeziliana, Xara, Gerrik und Boromur, sowie Amstrad und Kobald versammelten sich in dem Pavillon der Zwölfe. Berim deutete auf die Skorpionfigur, die am Boden unterhalb der Bahre lag und schwor bei allen heiligen Göttern, sie sei gelaufen und auf den Boden gesprungen.

Zeziliana wußte, daß diese Figur nicht magisch war. Ein Symbol Thalions, das sie bei seinem Tod mit ihm bestatten sollten. Es war eine einfache Urne der Energie, sonst nichts. Ein Odem Arkanum bestätigte es erneut.

Boromur bewunderte das Schmuckstück mit Respekt. Es war Zwergenwerk, ohne Frage, ein meisterhaftes Stück eines von Angrosch gesegnetem Goldschmiedes. Boromur nahm die Figur unter den einvernehmenden Blicken der Umstehenden hoch. Die fein gearbeiteten Beine waren vom Erdreich schmutzig. Der Schwanz eingerollt. Boromur suchte beweglichen Teile, eine versteckte Mechanik. Es war ein einmaliges Kunstwerk ohne gleichen. Aber es konnte sich nicht bewegen.

Amstrad stand mit bewegungsloser Miene da und warf einen verstohlenen, zweifelnden Blick auf Berim.

Xara musterte Thalion. Sein Körper war unversehrt, die Wunden verschwunden und es zeigte sich keine Spur von Verfall und Verwesung. Fachkundig untersuchte sie erneut den Körper und war sich sicher, dieser Mann war tot. Sie sprach Zeziliana ein Kompliment aus, wie gut ihre Magie den Körper erhielt. Zeziliana werte ab. Sie hatte magisch seine Wunden geschlossen, das war alles. Xara runzelte ihre Stirn. Ihr Blick wanderte von dem Körper über die Fellunterlage zu den Verstrebungen der hölzernen Bahre auf den Boden. Sie suchte nach etwas, daß den Verfall aufgehalten haben könnte, eine natürliche Ursache, irgend etwas. Ihre Augen schweiften weiter über den Boden zum Schatten des Gestells und hielten inne. Der Schatten zeichnete sich deutlich und lang gegen die untergehende Sonne ab. Der Körper von Thalion schien keinen Schatten zu werfen. Xara hob den Arm des Toten in die Höhe. Kein Schatten. Sie starrte auf ihren Schatten, musterte die der anderen. Alles war normal. Fragende Gesichter ruhten auf der nervöser werdenden Xara.

Als Xara ihre Entdeckung offenbarte, wendeten sich alle Augen auf den fehlenden Schatten Thalions. Einzig Aaron blickte Xara weiterhin an, als ob er wartete, daß sie mehr erzählen würde. Xara spürte dies, verdrängte die aufkeimenden, unangenehmen Gefühle und erzählte den Versammelten von ihrem Abenteuer im Finsterkamm auf dem Weg von Xeleron's Turm nach Gerasim. Sie berichtete von dem Tal der steinernen Figuren, von Erik und Shanara und wie die beiden ihre Schatten verloren hatten, von der Höhle mit dem Wesen in schwarzer Robe am Eingang und seiner unheimlich hohl klingenden Stimme. Sie wiederholte die Geschichte des Wesens über Schatten, Seelen und Boron. Amstrad runzelte die Stirn. Zeziliana zischte durch die Zähne. Aaron schwieg. Und Boromur zitierte mit tiefer Stimme:


"Wenn der leibhaftige Tod die Seele loschneidet, steigt sie, nun nicht mehr von einem Leib beschwert, von selbst auf über das Nirgendmeer. Gar wenn Golgari, der Sendbote des Schweigsamen, die Seele des Sterbenden auf seine Schwingen bettet für den langen Flug über das Nirgendmeer, gelangen sie zur Totenhalle, vorbei an Uthar dem Wächter der Pforte.

Und so wie die Geweihten des Boron die Toten zu ihrer letzten Ruhe geleiten, so führt Boron selbst die Seelen der Toten ins Jenseits und richtet über ihr weiteres Schicksal. Alle Taten, gute wie schlechte, werden von ihm auf Rethon, der Seelenwaage, bemessen, auf daß sich für jede Seele entscheide, ob sie für wert befunden wird, von einem der Zwölfe in seine Hallen aufgenommen zu werden, oder ob ihr die ewige Verdammnis dräut.

Die Erwählten steigen auf nach Alveran in eines der Paradise der Götter.

Diejenigen, die so liederlich leicht sind, daß nichts sie an die Ordnung hält, steigen höher und höher, bis sie in der zwölfgötterlichen Verdammnis entschwinden und für alle Zeiten Satinavs von Dämonen gehetzt und gequält werden oder gar selbst zu Dämonen werden.

Manche Seelen hingegen sind so beschwert von derischen Banden, daß sie trauernd und einsam in Hallen des Todes verharren müssen, bis sie wiedergeboren werden, denn zuweilen überläßt der dunkle Gott der Göttin Tsa bestimmte Seelen für die Rückkehr in die Welt - sei es, um ihren alten Körper neu zu beleben, sei es, um einen neuen Leib zu erfüllen.


Und einige, verlorene Seelen finden nie den Weg zu den Hallen Borons, verirren, verzagen oder verweigern. Ihre Seelen verweilen gefesselt und gequält an Orten der Dunkelheit bis sie Erlösung finden."


Boromurs Stimme verhallte im Schweigen.

Zeziliana und Berim wollten sich diese Höhle anschauen. Vielleicht fand man dort Antworten. Zumindest müßte das neue Rätsel um Thalion gelöst werden, bevor man ihn bestatteten und seine Seele verdammen würde. Aaron schwieg. Berim murmelte: "Daß sähe ihm ähnlich, in der letzten Sekunde sein Lebens noch einen irrsinnigen Handeln einzugehen".

Aaron war auf die Beschreibung der dunklen, furchteinflößenden Gestalt aufmerksam geworden, die Xara während einer Nacht begegnet war. Das war kein Schatten. Bevor Amstrad zu Worte kam, fragte er in seinem typischen, wichtigen Tonfall, der alle anderen verstummen und zum Zuhören veranlaßte. Xaras Kehle wurde trocken, sie bekam plötzlich leichte Kopfschmerzen. Aarons Stimme beruhigte sie. Sie schloß die Augen und erinnerte sich an den schwarzen Ritter, die Nacht und die Verfolger.

Kobald lief ein Schauer über den Rücken. Ein Dunkelritter, ein Ritter der Nacht, ein Verfluchter aus ihren eigenen Reihen auf dieser Welt. War er für den Verrat der Delamars verantwortlich gewesen ? Eine weitere Bestrafung ? Xara erzählte von dem Lichtelfen und Kobald beruhigte sich. Er war nicht wegen ihnen hier. Nicht zusammen mit einem Todfeind. Er hatte es auf dieses Juwel abgesehen, warum auch immer. Mit Thalions fehlenden Schatten gab es keine Verbindung.

Berim und Zeziliana überredeten Aaron die Höhle zu suchen. Widerwillig stimmte der Waldläufer zu. Es schien sein Schicksal zu sein, mit dem Sein nach dem Tod in Berührung zu kommen.

Weder Amstrad noch Kobald noch ein anderer des Schattenrates kannten die Höhle. Beide Männer bekundeten reges Interesse an so einem Ort, könnte es der Befreihung vieler gefesselter Seelen dienen. Allein wenn sie wüßten, wie ein Geisterwesen gestorben war, wäre dies für seine Erlösung hilfreich. Die Steinstatuen könnten Hinweise geben. Oder das Wesen vor der Höhle.

Xara wollte die anderen Begleiten. Sie war damals in zu großer Eile gewesen, um sie zu untersuchen. Eine zweite Gelegenheit würde Xara sich nicht nehmen lassen. Außerdem war sie die einzige, die den Weg zur Höhle kannte.

Boromur dachte ganz anders. Sein tiefer Glaube hatte in den letzten Tagen sehr viel ertragen müssen. Sich nun direkt in den Tod und Borons Willen einmischen zu wollen, überstieg das Maß : "Ich glaube es nicht, ihr wollt Euch tatsächlich aufmachen, um nach der Seele Eures gefallenen Kameraden zu suchen? Was glaubt ihr zu finden? Glaubt ihr, ihr könntet Boron betrügen und eine Seele seinem Griff entreißen? Uthar wird Euch sehen und Euren Namen aussprechen für den Frevel, den ihr zu tun bereit seid. Und was soll diese Geschichte von dieser Höhle. Es könnte alles mögliche sein, eine unglückseelige Mischung aus Hörensagen, Aberglauben und einem Korn Wahrheit. Und ihr glaubt doch nicht wahrhaftig daran, das der Ort an dem die Seelen verharren, hier in Aventurien zu finden sei! Ihr verrennt Euch in Euren Hoffnungen und einem Wunschdenken, das Euch kaum zum Ziel führen kann. Ihr solltet den Tod Eures tapferen Gefährten hinnehmen und ihn in Eure Gebete einschließen. Was seht Ihr mich so an? Ihr habt mich gefragt, und das ist nun einmal meine Meinung."

Amstrad verzog ein wenig den Mund. Wie starr die Lehren der Kirche waren. Was man nicht verstand, wurde durch Regeln und Gebote geschützt, damit niemand eine andere Wahrheit entdecken sollte.

Kobald schüttelte traurig den Kopf. Wenn es so einfach wäre. Aber er war nicht hier, um über den Glauben dieser Welt zu urteilen. Er schaute die anderen an.

Der Zwerg war richtig außer sich. Ohne Unterbrechung donnerte er weiter : " ...und wie wollt ihr überhaupt diese Höhle finden. Zwecklos sage ich. Wo war sie noch einmal? Im Finsterkamm! Bei Angrosch, ihr würdet dort nie irgendetwas finden. Allenfalls die Zwerge kennen sich in diesen Gebieten aus, und glaubt mir, nie würdet ihr Zwerge dazu bringen, Euch einen Führer zu stellen."

Aaron's Miene verdunkelte sich weiter. Die Wangeknochen traten hervor. Er starrte auf den leeren Boden. Mit einem Ruck richtete er sich auf und deutete auf den Zwerg : "Boromur hat recht. Wir suchen eine Funken Hoffnung in unserer Trauer, der so schnell verglühen kann, wie er entstanden ist. Wenn es Borons Wille war und Thalions Bestimmung erfüllt ist, so sollten wir uns fügen, den Toten bestatten und uns seiner auf ewig erinnern. Thalions Beerdigung wird, wie wir es ihm versprochen haben, am nächsten hohen Fest seines Gottes stattfinden. Berim! Wir beide werden die Vorbereitungen für die Zeremonie treffen. Am Abend des Nebelfestes soll sein Körper in der Tavidongrotte im Steineichenwald zur letzten Ruhe gebettet werden. Und die Worte seiner engsten Freunde werden seinen Geist in die Hallen Borons geleiten."

Berim schluckte und ... nickte.

Es entstand eine kurze Pause, bis Aaron fortfuhr : "Was die Höhle betrifft, wehrter Boromur, so habt ihr selbst in dem Zitat der Boronkirche von gefesselten Seelen gesprochen, die gequält an Orten der Dunkelheit weilen. Und der Freiherr könnte Euch viele Geschichten über solche Seelen auf Aventurien erzählen, glaubt mir, ihr würdet staunen!" Aaron dreht sich zu Amstrad : "Für Euch de Brion, ist die Höhle eine Untersuchung wert. Wenn sie sich als das herausstellt, was die Dame Xara angedeutet hat, kann sie Euch bei Eurer Aufgabe wertvolle Erkenntnisse bringen. Zeziliana, Euch steht es frei, an dieser Expedition teilzunehmen. Ihr steht nicht im Wort gegenüber Thalion." Aaron blickte zu Xara : "Dame Xara, ihr habt etwas von zwei Personen erzählt, die Euch damals begleitet hatten und, wie ihr sagtet, dort ihre Schatten verloren ? Wäre es nicht sinnvoll, diese beiden bei einer Erkundung mitzunhemen ? Und wie steht es mit Eurer Kenntnis über die exakte Lage der Höhle ? Der Finsterkamm ist groß, unzugänglich und gefährlich."

Xara überlegte. Wie war sie damals zu dem Turm gekommen. Sie war Archon Xeleron gefolgt. Er hatte sie mitgenommen und ihr war der Weg ziehmlich egal gewesen. Wo war dieser Turm ?

Amstrad und Kobald stimmten Aaron zu. Seine Worte waren schlüssig und lösten die Situation ohne jemanden zu kränken. Zu gerne würden beide die Gruppe zur Höhle begleiten. Ihre Pflicht gegenüber dem Schattenrat ging vor. In dieser Krise mußten sie ihre ganze Kraft und Zeit auf das Weiterbestehen des Rates konzentrieren.

Boromur hatte sich ein wenig beruhigt. Wenigstens Aaron schien noch einigermaßen bei Verstand zu sein, auch wenn sie trotzdem zur Höhle wollten. Etwas versöhnlicher gab er Ratschläge, wie wenigstens Boron und die Toten mit Gaben zu Marbo zu besänftigen seien. Weihrauch, ein wenig Lotos, Mohagoni würde nicht schaden oder ein Amulette, der heiligen Etilia geweiht. Wenn schon die sanfte Marbo nicht dem Flehen zugetan wäre, vielleicht könnte ihre Mutter sie erhören. Und Boromur beharrte darauf, daß sie vorher einen Tempel aufsuchen müßten und etwas Demut und Opferdienst ihnen gut zu Gesicht stehen würden! Für den Angroschgeweihten war das Vorhaben wahnsinn.

Aaron betrachtete den Zwerg. Er und Berim würden das Schloß für ein paar Tage verlassen müssen, um einige Botschaften zu entsenden und die Reise zur Grotte vorzubereiten. Der Waldläufer ging respektvoll in die Knie und bat Boromur darum, bis zu seiner Rückkehr die Totenwache Thalions zu übernehmen. Nicht als Verpflichtung einem höheren Geweihten gegenüber, sondern als letzten Dienst für einen guten Menschen.

Boromur willigte ein. Er werde auf Thalion acht geben, für seine Seele beten und seine sterbliche Hülle nicht unbeaufsichtigt lassen. Und wenn Thalion tatsächlich sein Ende hinauszögern und dem schweigenden Gott ein Schnäppchen schlagen wolle ... so wünschte er ihm alles Glück. Er werde es brauchen.

Gerrik stand abseits von den anderen. Er hatte über die Worte Boromurs gegrübelt. Über den Schattenrat nachgedacht. Ihm kam immer wieder die Frage "Was ist Leben?" in den Sinn. Er selbst stellte sich die Frage : "Was bedeutet Tod?" Eine eigenartige Frage für einen Söldner. Gerrik war verwirrt.

Amstrad näherte sich ihm. Der Freiherr nahm das Schwert, das Gerrrik immer noch in der Hand hielt, packte es am Griff und streckte die dunkle Klinge in die Luft. Ein Sonnestrahl reflektierte an der Spitze. Ein Funken der Hoffnung ? Amstrad legte das Schwert auf seine offenen Handflächen und reichte es Gerrik mit den Worten : "Anastasia de Brion hat ihr Schicksal selbst gewählt und sich mit freiem Willen geopfert. Amstrad de Brion ist der neue Schatten. Und wer dieses Schwertes würdig ist, entscheidet Schattenarm allein. Sucht diese Höhle im Auftrag des Schattens. Findet eine Antwort, für uns und für Euch, und bringt Schattenarm zurück. Von meiner Seite gilt unsere Vereinbarung weiter. Entscheidet Euch!

Für Gerrick war es keine schwere Entscheidung. Er war für diese neue Aufgabe sehr dankbar.

Xara wußte nicht, wo der Turm Xeleron's war. Aber vom Turm aus war es damals immer nach Norden, Richtung Gerasim gegangen. Auf Empfehlung von Xeleron hatte man den Weg durch eine Schlucht als einfachste Passage gewählt. Am Ende dieser Schlucht, in der sich auch die Steinfiguren befunden hatten, war die Höhle mit dem Wächter gewesen. Da die Schlucht sich als Sackgasse herausgestellt hatte, war ein anderer Weg über einen Grat nach Norden eingeschlagen worden und man war viele Tage später nach Lowangen gekommen. Xara tippte, daß die Schlucht mittig im Finsterkamm, auf der Strecke zwischen Greifenfurt und Lowangen lag. Von ihrer jetzigen Position auf Schloß Drachenstein, welches sich im östlichen Finsterkamm befand, müsste man weiter nach Westen. Sie erklärte den anderen, daß es wohl einfacher wäre, von Lowangen aus zu starten und dann immer nach Süden zu marschieren. Dann müssten sie irgendwann zu der Höhle oder zumindest zu dem Turm kommen.

Berim grinste von einem Ohr zum anderen. Aaron blieb ein wenig der Mund offen und Zeziliana entfuhr ein Seufzer.

Boromur äußerte, sie könnten sich vielleicht an einen Geoden diese Gebirges wenden. Wenn jemand einen solchen Ort der Macht im Finsterkamm kannte, so war es einer dieser verfluchten Brut. Angrosch sollte sie strafen - aber manchmal ruhte in ihren verwirrten Geistern doch noch ein Fünkchen Wahrheit und Weisheit.

Kobald Surin fraget Boromur, was ein Geode sei. Boromur erklärte, es wäre ein Art Zwerg, auch wenn es eigentlich keiner mehr sein dürfte, ählich einem Druiden. Amstard horchte auf. Ein Druide ! Er warf ein seltsam klingendes Wort in die Runde. Kobald zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Seine Lippen pressten sich mißfallend aufeinander bis sie zu schmalen, weißen Strichen wurden. Er schleuderte Amstrad einen zornigen Blick zu.

Aaron wollte einem Streit aus dem Weg gehen. Er nahm Xara, Zeziliana und Gerrik zügig beiseite, führte sie von dem Gartentempel weg und fragte, ob es vielleicht besser wäre, die Route vorher zu prüfen. Xara's Wegbeschreibung war zu ungenau. Sie würden Götterläufe in diesem zerklüfteten Gebirge mit seinen unzähligen versteckten Tälern, Schluchten und Höhlen verbringen. Ausgangspunkt war dieser Turm. Nach Xara's Worten lag er auf einem Hochplateau und die drei fingerartigen Felssäulen, von denen eine der Turm eines Magiers sein sollte, müßten von oben gut zu sehen sein. Aaron wußte, daß beide Frauen sich durch die Luft fortbewegen konnten. Xara fand den Vorschlag gut. Zeziliana stimmte zu, obwohl sie einige Gefahren auf dem Flug befürchtete. Man beschloß, daß sie gleich morgen früh aufbrechen sollten. Sie würden sich nach Westen bewegen bis zum Saljethweg, dem einzigen begebaren Paß zwischen Lowangen und Greifenurt. Zeziliana schätze, sie würden einen Tag dorthin brauchen. Zwei weitere Tag würde man die Gegend rechts und links von dem Paß absuchen und dann zum Schloß zurückkehren.

Amstrad stritt sich mit Kobald in einer fremdem Sprache. Boromur unterbach die beiden und bat sie, die Ruhe des Toten nicht länger zu stören. Kobald warf Boromur einen so bösartigen Blick zu, daß dieser intuitiv einen Schritt zurückwich und zum Hammer griff. Amstard stellte sich zwischen den aufgebrachten Herrn und den Zwerg. Kobald enspannte sich, entschuldigte sich für sein ungebührliches Verhalten und die beiden Adligen gingen zurück in's Schloß. Bevor sie das Tor passiert hatten, ging der Disput weiter.

Aaron fragte Xara erneut nach den beiden ehemaligen Begleitern Erik und Shanara. Xara hatte keine Ahnung, wo sich die beiden aufhalten könnten. Erik war irgendwo westlich von Gerasim bei einer Gruppe roter Frauen verschwunden und Shanara war eine Jägerin aus Darpatien. Xara gestand, sie hatte wenig mit ihnen gesprochen und kannte sie kaum. Aaron würde die nächsten sechs Tage Botschaften an Freunde und Vertraute bringen und den Transport Thalions veranlassen. Bis zum Nebelfest waren es 25 Sonnenaufänge. Die Reise würde 12 Tage dauern. Am Ende des Madalaufes der Rondra müßten sie aufbrechen. Er hatte ausreichend Zeit nach diesen beiden Erkundigungen einzuholen. Er winkte Berim zu sich und sie verließen den Garten.

Xara druckste ein wenig herum, bis sie Zeziliana anschaute und es aus ihr heraussprudelte : "Ihr könnt auch fliegen?" Xara sah in ein freundliches Gesicht mit blitzenden Augen.

Die Magierin fand Xara's direkte Art und ihre charmante Ausstrahlung erfrischend. Mal etwas anderes als mit den Herren auf Abenteuer zu gehen. Sie freute sich auf die kommende gemeinsame Erkundung. Xara bekam keine befriedigende Antwort - sie sollte sich überraschen lassen.

Gerrik half bis zum Abend bei den Reisevorbereitungen und verbrachte die restliche Zeit mit Boromur bei der Totenwache im stillen Gebet.


Auf der Suche

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 22.Rondra 7 n.Hal

Als die Praiosscheibe über den Rand des Finsterkammes leuchtete und das Bergmassiv in sanfte Morgentöne tauchte, kletterten drei Personen eine nahegelegene Anhöhe nach oben. Von dort überblickte man das Tal des Schloßes Drachenstein. Aus der Schlucht auf der rechten Seite stieg Nebel auf. Das Eis auf den Spitzen der Gipfel schimmerten im Sonnenlicht. Ein leichter Wind wehte aus Süden. Xara hatte einen Rucksack für beide Frauen mit Proviant, Decken und dem Nötigsten für vier Tage gepackt. Zeziliana hatte sie darum gebeten, da sie selbst kein Gepäck transportieren konnte. Aaron begleitet die beiden. Er genoß, wie die anderen, die stille, friedliche Stimmung des Sonnenaufgangs. Der Finsterkamm hatte auch seine schönen Seiten.

Der Finsterkamm
Eine mehr als dreihundert Meilen lange Gebirgskette voller unwägbarer Gefahren und Geheimnisse ist der Finsterkamm, der voll düsterer Majestät die Landschaft in seinem Schatten beherrscht. Kühn erheben sich bis zu 3000 Schritt hohe, dunkle Kalksteingipfel in dem Himmel, bizarre, steinerne Massive mit so unheilverkündenen Namen wie Schwarzkuppe, Sturmhöhe, Harpienstein, Orkenmaul oder Drachenkopf. Dem Wanderer eröffnet sich eine Welt voller schroffer Schönheit: Jähe Felswände, die Hunderte von Schritt in die Höhe ragen, tief eingeschnittene Täler, so eng, daß kaum ein Sonnenstrahl bis zum Grund vordringt, riesige Geröllhalden, die von der zerstörerischen Macht der Bergstürze künden. Die Flanken sind häufig von Höhlen zerklüftet, die sich bis tief in das Innere des Massivs erstrecken können, Labyrinte natürlicher Kraft oder Zwergenwerke.

Am Fuße und an den niedriger gelegenen Hängen und Hügelketten des Finsterkammes wachsen düstere Wälder, beherrscht von hohen Tannen, Fichten und Firunsföhren, durch deren dichtes Nadelkleid nur vereinzelt ein Sonnenstrahl dringt. Hier läßt es sich jedoch besser vorankommen, als in den Forsten der Niederungen, denn in dem schwachen Licht gedeiht nur wenig Unterholz. Allein es hilft einem wenig, führen die Wege doch in's Niemandsland, einmal abgesehen vom Saljethweg, dem Nôrrnstieg und dem Schattenpaß am Nebelsteig hinüber in's Svelttal. Die anderen kleine Pfade sind nur den wenigsten Wanderern und Jägerns bekannt.

Steigt man höher hinauf zu den größeren Hügeln und kleinen Tälern dazwischen, weichen die Nadelbäume den Krüppelkiefern und niedrigem Gebüsch bis schließlich das Klima so rauh geworden ist, daß sich allein noch Gräser und Flechten behaupten können. Nur selten sieht man die Gipfel klar im Praiosschein, meist umgeben dunkle Regenwolken und Dunstschleiher die Gipfel. Der Finsterkamm gilt als launisches, zorniges Gebirge. Plötzlich auftretende Nebel verhüllen schmale Pfade und rauben jegliche Orientierung. Plötzlicher Hagel und Schneestürme fordern ihren Tribut, zumal sich der Finsterkamm nicht um Jahreszeiten schert. Es kann im Rahja schneien und im Hesinde Wanderern die Hitze die letzten Schweißreserven rauben. Jedoch im Winter gehen nur Narren ins Gebirge, so sagt man - und von diesen kehrt auch kaum einer zurück - von denen, die überhaupt zurückkehren

Trotz der kargen Verhältnisse leben einige Tiere im Finsterkamm. Neben den üblichen Tieren der Bergregionen existieren einige Bemerkenswerte: Die seltenen Berglöwe, eine handvoll friedlicher Trolle, die besondere Plage der Harpyien, die in großen Schwärmen in den unzugänglichen Steinwänden hausen, das Volk der Amboßzwerge und einige umherziehende Banden von Orks und Goblins. Zudem gibt es unzählige Sagen und Geschichten um noch merkwürdigere Kreaturen und Orte. Die Runinen des Kloster Arras de Mott, die alten verlassenen Mienen der Amboßzwerge, die Räuberbande des Blutigen Habichts, das verborgenen Tal der Elemente, riesige abgeschiedene Höhlen, in denen die letzten großen Drachen hausen oder gar Chrrkrook, die grimmige Hüterin der Berge. Und niemand wagt sich vorzustellen, was für Wesen in den innersten Tiefen des Finsterkammes hausen.

Die Praiosscheibe flammte auf und verscheuchte die Schatten aus dem Tal. Es wurde Zeit. Xara setzte sich auf ihren Stab, sammelte ihre Gedanken und flog in die Lüfte. Von oben beobachtete sie, wie Zeziliana Anlauf nahm, auf einen Felsabhang zurannte und sprang. Ihr Körper stürzte in die Tiefe. Xara riß ihren stab herum und sauste nach unten. Vor ihren Augen breitete die Magierin ihre Arme aus und einen Atemzug später gleitete ein mächtiger Kondor auf den warmen Aufwinden des Südens. Xara verlor rapide an Höhe. Dank ihrer Flugkünste wandelte sich ihr Sturz in eine elgegante Kurve und sie schloß mit dem Raubvogel auf. Ein Ruf drang aus seiner Kehle, er kippte nach Westen ab und mit drei kräftigen Flügelschlägen beschleunigte er das Tempo. Xara eilte ihm nach.

Boromur und Gerrik wechselten sich bei der Totenwache ab. Der Bernsteinskorpion lag wieder auf Thalions Brust. Gelegentlich kamen Bedienstete vorbei und erkundigten sich nach Wünschen. Gerrik fand einige Zeit zum Nachdenken und Boromur war um die Ruhe dankbar. Für einen kurzen Augenblick hatte Gerrik einmal das Gefühl, jemand flüsterte ihm etwas in sein Ohr, aber es war eine Sinnestäuschung, der Wind der durch die Drachenschlucht säuselte.

Aaron und Berim verließen das Schloß am späten Vormittag auf zwei schnellen Pferden. Sie hatten ihre übliche Ausrüstung dabei, reichlich Proviant und eine Satteltasche voller Briefe und Dokumente. Sie preschten die kleine Straße entlang, die vielen Windungen hinauf und hinab, durch Tunnel hindurch bis zu einer scharfen Kehre nahe einer mächtigen Geröllhalde. Sie zügelten die Pferde. Aaron blickt Berim traurig an. Berim hatte ihn oft aufgeheitert, jetzt schien Berim trauriger und niedergeschlagener als er selbst. Aaron legte seine Hand auf den Hals von Berims Pferd, flüsterte ein elfisches Wort und das Pferd wieherte leise. Berim verabschiedete sich wortlos von seinem Gefährten. Er nickte und brachte ein mißglücktes Lächeln auf sein Gesicht. Aaron hob die Hand, wendete sein Pferd und lenkte es auf die Halde zu. Berim schaute ihm lange nach, bis der Waldläufer kaum mehr zwischen den vielen Felsbrocken und Geröll erkennbar war. Er sckluckte und machte sich auf den Weg nach Yrramis. Er würde dort einige Botschaften abschicken ud dann weiter über Teschkal in den Steineichenwald reisen. Keine leichte Reise bei der Unmenge agressiver Goblins. Und der Grund seiner Reise, die Vorbereitungen zur Bestattung seines Freundes, machte den Weg kaum leichter.

Aaron stieg bald ab. Er erreichte den Simms noch vor Einbruch der Nacht. Er band sein Pferd an eine Krüppelkiefer und kletterte weiter empor zum Grat. Die schnell kommende Dunkelheit überraschte ihn und er suchte sich eine windgeschütze Stelle zwischen drei großen Felsen.


 23-24.Rondra 7 n.Hal

Der Flug war anstrengend. Die unberechenbaren, wechselnden Winde, starke Temperaturschwankungen und die hohen, unüberwindbaren, schneebedeckten Gipfel forderten ihren Tribut. Xara war am Abend körperlich ausgelaugt. Zeziliana ging es kaum besser. Ihre Arme schmerzten und sie spürte ihre unterkühlten Beine kaum. Immerhin hatte sie einen Bock mit ihren Klauen gefangen und sie aßen am flackernden, wärmenden Feuer frisches, gebratenes Fleisch. War Xara anfangs sehr zuversichtlich, das Plateau und den Turm leicht zu finden, sank ihr Glaube mit jeder Stunde des Fluges. Das Gebirge war unübersichtlich, voller tiefer Schluchten und zerklüfteten Graten. Es gab so gut wie nie eine große breite Fläche eines Tales oder eine Hochebene. Alles endete in steilen Gipfeln oder Spalten in der Dunkelheit. Dazu kam der Nebel. Die meisten Spitzen umhüllten sich mit dicken Nebelschwaden und dort, wo dichte Tannenwälder ein Tal bedeckten hingen die weißen Fetzen in den Kronen der Bäume. Xara sprach sich Mut zu. Die Ebene mit den Felstürmen war markant.

Aaron stand auf dem Gipfel. In seinen Händen schimmerte ein Bogen im aufgehenden Praioslicht. Aaron griff in seinen Köcher und holte den langen, singenden Elfenpfeil. Seine Handfläche berüherte den kalten Blutrubin im Griff des Bogens. Schwaches Leuchten drang durch seine geschlossenen Finger. Der Bogen vibrierte, als er den Pfeil spürte. Ihre Magie vereinte sich, die Sehne schien im rötlichen Praioslicht zu glühen. Aaron spannte den Bogen auf unmenschliche Weise. Das Holz tönte. Die Spitze der Pfeiles blitze auf. Ein Funke der Hoffung ? Aaron stellte sich das Bild der wunderschönen Waldelfin Liaasaana Windgesang vor und schoß. Der Pfeil zischte in die Luft, die Sehne sang.

Amstrad, Kobald, Ophelia, Ariana und Eritania entwickelten ihre Pläne für den Schattenrat. Sie redeten Tag und Nacht ohne Unterbrechung für Essen und Schlaf. Wenige bekamen sie in den Tagen zu Gesicht. Ihre Pläne reiften, sie ergänzten sich gut und schöpften Hoffnung für ein Weiterbestehen der Organisation und ihres Bandes. Amstrad suchte trotz der Anstrengung jede Nachtwende den Pavillion der Götter auf und erwies dem Toten seine Ehre.

Xara zog seid Stunden Kreise Richtung Norden. Der Saljethweg lag rechts von ihr. Zeziliana erkundete das Gebirge auf der linken Seite des PAßes. Unter Xara tauchten die Ruinen des Kloster Arras de Mott auf. Zeziliana hatte ihr den Namen verraten. Xara rieb sich den starren Hals. Ihr Rücken und ihr Gesäß schmerzte. Sie brauchte eine Pause.

Zeziliana hörte den Ruf der Harpie beinahe zu spät. Der Schatten des Wesen verriet es. Die Harpie kam aus der Praiosscheibe auf sie zugeschossen. Zeziliana legte die Flügel an und stürzte tiefer. Die Krallen der Harpie griffen in's Leere. Zeziliana fing sich ab und nutze ihre enorme Spannweite. Die Harpie hatte mit ihrem Gewicht und den dazu verhältnismäßig kleinen Flügeln keine Chance. Der Kondor zog binnen Sekunden davon.

Aaron kam zum Nôrrnstieg. Er steig auf das Pferd, welches er den ganzen Tag geführt hatte und ritt vorsichtig den engen Paßpfad nach Süden. In Nordhag würde er die Briefe und Dokumente von den Adligen Herren an einen Vertrauten abgeben und seine eigenen Botschaften für die Freunde Thalions hinzufügen. Dank der Beziehungen und dem Rang des Freiherrn de Brion würde die Post in windeseile transportiert werden.

Xara war am verzweifeln. Alles sah gleich aus. Eigentlich nicht wirklich und dann doch wieder. Der zweite Tag der Suche neigte sich dem Ende zu. Sie mußten zurück. Xara war froh, wenn sie den Rückflug überhaupt schaffen würde. Ein brennender Schmerz am Rücken riß sie aus ihren Gedanken. Ihr Körper wurde in der Luft zur Seite gerissen. Der häßliche Schrei einer Harpie. Xara konzentrierte sich. Sie zog nach oben. Die Harpie war schneller und schwebte unvermittelt direkt über ihr. Xara konnte unmöglich ausweichen. Sie hob schützend ihre Arme vor das Gesicht. Die Harpie hackte auf sie ein. Die Flugmagie brach ab. Xara stürzte.

 25.Rondra 7 n.Hal

Berim wischte seinen Stock an dem Lederfetzen des Goblins ab. Fünf der Kreaturen lagen am Boden, zwei winselten in die Enge getrieben um Gnade. Berim hatte mit Überfällen an der Grenze zu Andergast gerechnet, aber nicht schon hier südlich des Thasch. Berim holte aus. Er war in übler Laune. Die Goblins hatten keine Chance.

Alantal Sternenwind hörte das Singen in der Luft. Tock. Der Pfeil zitterte im Stamm. Er zog ihn aus dem Holz und sendete ihn weiter nach Norden, seiner Bestimmung entgegen.


 26.Rondra 7 n.Hal

Es klopfte an der Tür. Eldran Tarde bat den Boten herein. Er brachte die Post aus Wehrheim. Eldran sortierte sie : Glückwünsche zum Jagdfest, eine Einladung, zwei Kaufangebote, ein Brief der Nichte des Grafen, zwei versiegelte Briefe aus Gareth! Eldran schnippste mit dem Finger. Die beiden Briefe wurden unverzüglich von einem Bediensteten zum Grafen Halme Haffax gebracht. Eldran sortierte weiter. Ein kleines Beutelchen mit Juwelen, ein Geschenk Graf Paskes von Roßhagen. Interessant. Noch ein versiegelter Brief. Das Siegel eines Freiherrns aus Greifenfurt. Eldran brach das Siegel. Eine Anfrage vom Freiherrn de Brion nach einer Jägerin in einer wichtigen Angelegenheit. Ein Dienst für das Fürstentum. Reisegeld und Erstattung der ausgefallenen Dienstzeit wurden angeboten. Eldran ließ das Siegel prüfen. Er sortierte weiter. Ein Bittliste der Bauern wegen den Goblinüberfällen...

Zeziliana trug die bewußtlose Frau in ihren Fängen. Ohne Alkar hätte sie Xara nie gefunden. Ein dickes Schneebrett hatten ihren Sturz gebremst und eine Pinie, in deren Ästen sich Xaras Rucksack verfangen hatte, letztlich ihr Leben gerettet. Dank ihrer enormen Kraft schaffte die Magierin es bis zum Drachensteintal. Kurz vor dem Schloß war ihre Energie erschöpft, die Verwandlung endete und auch sie verlor die Besinnung.

 27.Rondra 7 n.Hal

Der Elf Ilutin Fingerspiel machte einen großen Bogen um den Zwerg. Er hatte es nie verstanden, wie an diesem Ort seine Brüder und Schwestern mit diesen, aus der Erde ausgespiehenen Wesen leben konnten. Der Zwerg schüttelte den Kopf und winkte ab. Ilutins Augen musterten die Bäume. Die Rotbuche in der Mitte. Ilutin kletterte wie ein aufgewirbeltes Blatt im Wind den dicken Stamm nach oben. Die Leiter fand keine Beachtung. Die Schwester Mondglanz Eichenfeld begrüßte ihn, bevor er in das gewachsene Geflecht aus Ästen und Blättern eingetreten war. Ilutin lächelte. Er bewunderte diese Frau. Er erwiederte den Gruß und wiederholte wortgetreu mit der selben Betonung die Worte seiner Schwester Liaasaana Windgesang. Er schenkte Mondglanz ein Wort des Abschieds und verschwand im Blätterwerk. Mondglanz liebte die Waldelfen des Kvill. Sie hatten ihre ursprüngliche Art nie verloren, trotz der Bedrohung der Goldsucher und der Zerstörung des Oblomon. Nur der Haß der Kvillelfen auf die anderen Völker wuchs von Tag zu Tag.

Zeziliana erholte sich langsam. Die Muskulatur ihrer Arme verweigerte den Dienst, sie konnte nicht einmal einen Löffel halten, war aber sonst unverletzt. Xata's Beschwerden waren schlimmer. Ihr Kopf dröhnte, jeder Atemzug führte zu einem stechenden Schmerz und ihr linkes Bein war gebrochen. Dank fachkundiger Hilfe war sie auf dem Weg der schnellen Genesung. Es würde jedoch noch Tage dauern, bis sie wieder aufstehen, geschweige denn Reisen könnte.

Mondglanz ging zu dem jungen Mann. Er war vor zwei Madaläufen zu ihnen gekommen. Die Wächterinnen des Feuers hatten ihn Geschickt. Sie konnten die entstandene Lücke endlich schließen. Der Mann war selbstlos bei ihnen geblieben, bis sie eine neue Außerwählte gefunden hatten. Sie hatten seine Fähigkeiten und seinen guten Willen gelobt, aber sie fürchteten um seine Seele. Ihm war alles egal. Er fügte sich jeder Situation und fand kein Ziel. In den letzten Madaläufen kam eine innere Agression hinzu, welche die Harmonie der Wächterinnen gefährdete. Vielleicht fand er in der Bitte dieses Freiherrns im Finsterkamm eine neue Aufgabe. Für einen Menschen war er zu lange allein in der Wildnis gewesen. Mondglanz verstand die Menschen nie richtig. Leider war Anastasius Silberhaar auf Reisen und sie mußte sich dieses Problems annehmen. Der Mann, sein Name war Erik, stimmte der Reise zu. Berge wären einmal etwas anderes, sagte er. Er mochte den Wald und die Elfen nicht. Und er haßte Bögen.

Aaron kehrte am späten Abend zurück auf Schloß Drachenstein. Er wirkte erschöpft. Müde Schritt er zur Bahre seines Freundes. Er grüßte Boromur und kniete sich nieder. Thalion war unveränderte. Nicht die winzigste Spur des Zerfalls. Er bedankte sich bei Boromur und lud ihn zur Beerdigung ein. Eine helfende Hand auf der Reise würde er schätzen. Boromur stimmte zu. Seine Neugier war von neuem Erwacht und Aaron war ein guter Kampfgefährte gewesen. Vielleicht etwas zu Elfisch.

Aarons zweiter Weg führte zu Xara. Er setzte sich auf Xara's Bett und untersuchte sie. Er empfahl eine Mischung aus Kräutern und gab ihr ein paar Schluck aus einem kleinen Tonfläschchen. Zeziliana stand daneben und berichtete von ihrer erfolglosen Suche. Zuerst wollte sie Aaron mit zur Bestattung begleiten. Als sie jedoch Thalion so unverändert gesehen hatte, änderte sie ihr Vorhaben. Etwas war faul. Sie bat Aaron mit der Bestattung zu warten. Aaron lehnte ab. Mochte es ein Geschenks seines Gottes sein, ihn unversehrt in seinen Hallen zu empfangen, es war jedoch kein Zeichen des Lebens, meinte er. Zeziliana schwankte. Sie hatte viele Spielarten der Magie und der Wunder erlebt. Aaron hatte wahrscheinlich Recht, aber sie war nicht für ihre Weisheit und Folgsamkeit bekannt. Zeziliana mochte das Spiel mit dem Feuer. Sie würde weitersuchen. Und der werte Herr Kobald schuldete ihr noch eine Erklärung.

 30.Rondra 7 n.Hal

Luwin Darnsfelds Finger glitt Zeile für Zeile durch das dicke Register. Alle direkten Bediensteten und Untertanen der Grafschaft Paskes von Roßhagen waren hier erfaßt. Kein Eintrag einer Shanara. Luwin betrachtete das Schreiben aus der Provinz Wehreim. Es trug das Siegel des Grafen. Es mußte wichtig sein. Luwin rief den Schreiber und veranlaßte eine Ausrufung bei den Landgrafen und Landvogten der Provinz Ochsenwasser.

Aaron und Boromur legten Thalion in einen kunstvollen Sarg aus Zedernholz. Den Sarg luden sie auf eine vierspännige Reisekutsche. Boromur hatte seine gesammte Ausrüstung dabei, darunter auch das Geschenk Amstrads - ein Rubin und ein Smaragd in Tränenform. Die Steine waren perfekt. Kein Einschluß, keine matten Stellen, keine Sprünge. Wie Tränen des Angrosch. Amstrad wünschte ihnen eine sichere Reise und hoffte, Aaron bald wiederzusehen.

 2.Efferd 7 n.Hal

Selina Harkoviz erinnerte sich an die Frau. Sie belieferten den Landsitz des Landgrafen Glambes von Gareth-Streitzig. Sie stand im Dienste des Grafen seid fünf Jahren und machte ihre Sache gut, auch wenn sie von den adligen Jagdausflügen wenig hielt. Sie hatte ihr Gebiet unter Kontrolle und es gab selten Fälle von Wilderei. Selina schickte einen Boten in die Ausläufer der Trollzacken nach Amstadt.

 4.Efferd 7 n.Hal

Shanara staunte nicht schlecht. Eine Reisekutsche des Landgrafen hielt vor ihrer Tür. Der Jagdmeister des Landsitzes der von Gareth-Streitzig stieg aus. Ohne große Worte forderte er sie auf, Sachen für eine Reise in den Finsterkamm zu packen und sich zu beeilen. Er hielt ihr eine schriftliche Order des Landgrafen persönlich unter die Nase. Bevor Shanara die Schnallen ihres Rucksacks richtig geschlossen hatte, zog der Jagdmeister sie in die Kutsche. Die Peitsche knallte und in rasanter Fahrt ging es nach Norden.


 12.Efferd 7 n.Hal

Shanara schüttelte den Kopf. Vor wenigen Tagen war sie in den Wäldern um Amstadt auf die Pirsch gegangen und nun fuhr sie eine enge, winzige Steinstraße durch den Finsterkamm und hätte sich fast den Schädel eingeschlagen, als sie aus dem Kutschenfenster blicken wollte. Auf der anderen Seite saß ein, in weiße Roben gekleideter Magier mit säuerlichem Gesichtsausdruck, der die ganze Fahrt kein Wort gesagt hatte. Zumindest glaubte Shanara, daß es ein Magier war. Er hatte keinen Stab und kein Siegel in der Handfläche, wie sie es bei anderen gesehen hatte. Aber sie verstand wenig davon und dieser dort sah für sie mit der wallenden, unpraktischen Kleidung, der bleichen Hautfarbe und dem unfreundlichen Gesicht wie einer aus. Und eine kleine, winzige Tätowierung an der rechten Schläfe trug er auch. Könnte eine züngelnde Flamme sein. Shanara versuchte die Zeichnung besser zu sehen und beugte sich vor, erntete einen finsteren Blick und flog zurück auf ihren Sitz, als die Kutsche über einen Stein holperte. Die Kutsche folgte einer scharfen Kurve und donnerte in das Rondell des Schlosses.

Die Begrüßung viel knapp aus. Schnell kam man zum Wesentlichen und Zeziliana befragte Erik und Shanara über die geheimnisvolle Höhle der verlorenen Seelen. Ihre Enttäuschung war groß, als sich herausstellte, daß keiner der beiden mehr wußte als Xara. Zumindest wollten sich beide der Suche anschließen. Shanara fühlte sich ihrem Herren verpflichtet. Erik halfen 100 Dukaten auf die Sprünge. Und selbst wenn sie es nicht direkt zugeben wollten, die Chance, ihre Schatten wiederzubekommen, wollte sich keiner von beiden entgehen lassen.

Zeziliana gab nicht auf. Die neuen Gäste waren ein Fehlschlag. Blieb der hohe Herr Kobald Surin. Sein Zornesausbruch bei dem Wort Druide hatte eine Bedeutung und es stand im Zusammenhang mit jemanden, der sich mit mysteriösen Orten im Finsterkamm auskannte. Gemeinsam mit Gerrik nutzte sie eine Chance beim Abendmahl und erkundigte sich ohne Umschweife bei Kobald. Dieser warf ihr einen haßerfüllten Blick zu, Amstrad wagte einen Einwurf und erneut stritten die beiden in der Sprache ihrer alten Welt. Es dauerte nicht lang. Kobald stand wortlos auf und verließ den Saal. Amstrad schüttelte bedauernd den Kopf. Mit den Worten, er würde sich darum kümmern, entschuldigte er sich. Die Übrigen blickten ahnungslos auf die Reste ihres Essens.

Amstrad und Ophelia klopften an Kobalds Tür. Er war immer noch erregt. Es dauerte, bis sie zum Thema kommen konnten. Erstaunlicher Weise war es Kobald selbst, der von Darkaad Daarodon, dem Finsteren anfing. Er wußte, warum seine beiden geschätzten Freunde bei ihm waren. Dafür brauchte er keine mentalen Fähigkeiten eines Brion.

Darkaad Daarodon, der Finstere, war ein Schattendruide. Er war der Hüter des Portals gewesen, dem sie, die Ritter des Hochlords unterstanden hatten. Ihre Aufgabe war es gewesen, das Portal zu bewachen, damit es niemand benutzte. Als sich der schreckliche Fluch angekündigt hatte, waren sie es selbst gewesen, die durch das Portal geflüchteten waren. Sie hatten seine Kräfte aktiviert und alle in seiner Umgebung waren durch den Strudel der Welten gerissen worden - auch Darkaad. Er hatte es ihnen nie verziehen. Als sie in der neuen Welt aufgetaucht waren, war es zu einer Schlacht gekommen. Darkaad hatte einige der Ritter getötet, bevor er durch die Überzahl besiegt worden war. Niemand hatte es gewagt, ihn zu töten, und er war in der Dunkelheit der Nacht verschwunden. Später hatte sich der Schattenrat formiert und beschlossen, den Schattendruiden um seine Fähigkeiten zu bitten und Teil ihrer Bestimmung zu werden. Sie hatten Darkaads Spuren verfolgt und ihn in den Tiefen des Finsterkammes gefunden, allein, halb verrückt durch die Einsamkeit und den wahnsinnigen Schmerz des Fluches. Der seelischen und körperlichen Qual konnte selbst er, mit seiner Macht, nicht entkommen. Er war wahrhaftig mächtig. Er vereinte perfekt das Wissen seiner Welt mit den Geheimnissen der Elemente, der Kraft der Energien dieser Welt und er beherrschte sie. Die erste Delegation des Schattenrates war von ihm in kürzester Zeit vernichtet worden. Vom zweiten Trupp war einzig ein Schattenläufer zurückgekehrt, verschont um den Verrätern mitzuteilen, was mit jedem Schatten passieren würde, den Darkaad sah. Kobald, in seiner Aufgabe als Ermittler, hatte daraufhin das Gebiet zu Darkaad erforschen und kartographieren lassen. Es hatte Götterläufe gedauert, aber er wollte ein Schwachstelle finden. Darkaad war erneut zu einem Feind geworden.

 13.Efferd 7 n.Hal

Am nächsten Morgen überreichte Amstrad der Gruppe eine Karte und erzählte ihnen von Darkaad. Er warnte sie vor seinem Wahnsinn, doch war er vielleicht der einzige, der ihnen helfen konnte. Durch den Fluch, war er mit dem Tod und den verlorenen Seelen im Finsterkamm wahrscheinlich enger verbunden als irgend jemand anderes. Zeziliana, Gerrik und Xara stimmten zu. Erik war es gleich, warum also nicht auf eine mörderische Reise durch den Finsterkamm. Shanara zögerten ein wenig. Die Geschichte, der Schattenrat und die seltsamen Umstände waren keine leichte Kost. Was blieb ihr übrig.

 14.-17.Efferd 7 n.Hal

Xara brauchte einige Tag, um wieder ganz zu Kräften zu kommen. In dieser Zeit wurden alle Reisevorbereitungen getroffen. Es trudelten Bestellungen aus Lowangen und Greifenfurt ein, Proviant und Ausrüstung aus den umliegenden Dörfern. Warme Kleidung wurde zugeschnitten, kaputte Ausrüstung repariert, die Waffen neue geschärft und Kletterausstattung zusammengestellt. Amstrad überreichte ihnen eine ein Spann große, durchsichtige Kugel, in deren Mitte eine Gewitterwolke schwebte und Blitze aussendete. Ein Stück aus Darkaads früherem Besitz. Zudem erhielt man für die Reise drei Heiltränke und einen Astraltrank.


Thalions Beerdigung

Die Tavidongrotte lag in den östlichen Ausläufern des Steineichenwaldes in einem Tal, umrundet von hohen Bergen. Ein Gebirgsbach schlängelte sich von dem Bergmassiv im Westen hinab durch grüne Auen und lichte Wälder bis zu einem kleinen, kristallklaren See am Fuße eines einzelnen, freistehenden Bergkegels. Südlich des Sees, an einer Fischerhütte, begann ein Pfad nach Westen zu den Hänge und Ausläufer des Steineichenwaldes bis zu dem Weg zwischen Andrafall und Anderstein. Hinter der Hütte schlängelte sich ein ausgetretener Pfad den Berg hinauf zu einem unscheinbaren Jagdschloß. Vom Schloß aus konnte man das fünf Meilen große Tal gut überblicken. Das Gebäude stand oberhalb einer steilen, schroffen Felswand, direkt am Rand des Abgrundes. Die Steilwand reichte an die hundert Schritt in die Tiefe bis zu einem kleinen Plateau, von dem es erneut etliche Schritt in die Tiefe ging. Auf dem Plateau hatte es sich eine Gruppe von Menschen und Elfen versammelt.

Das letzte Praioslicht hüllte das Schloß in seinen Glanz. Minuten später empfing die Gruppe Dunkelheit. Fackeln wurden entzündet und man betrat den Eingang zur Grotte. Schweigsam und leise ging die Prozession durch den ausgewaschenen langen Gang bis zur "Vorkammer des Fuchses". Auf zwei hüfthohen Steinsäulen zur rechten und linken Seite der Kammer standen silbergraue Fuchsstatuen. Vor dem Durchgang zum nächsten Gewölbe standen drei Gestalten. In eine schwarze, graue und weiße Kutte gehüllt, die schweren Kapuzen über dem Gesicht, trug jeder von ihnen eine lange, dünne Fackel in der rechten Hand. Die linken Hände hielten sie vor sich gestreckt, als ob sie eine Gabe erwarteten. Aaron und Berim traten vor, legten den Bernsteinskorpion in die erste Hand und verschwanden im Gang. Zwei Waldelfen, offensichtlich aus der Gegend des Kvill folgten einer atemberaubend schönen Elfin. Ihre zarten, langen Finger legten behutsam eine kleinere Skorpionfigur aus Jade und Smaragd in die zweite Hand. Hinter ihnen folgte ein Ritter mit glänzender Prunkrüstung, zog seine Handschuhe aus und übergab der letzten freien Hand einen einfachen schwarzgrauen Skorpion aus Stein. Die Drei blickten auf einen letzten Gast. Ein Zwerg stand dort, in der linken eine eherne Laterne die sein goldschimmerndes Haar würdigte. Er strich über seinen Bart und stapfte, nachdem die drei Gestalten offensichtlich warteten in den Durchgang. Die Drei folgten ihm.

Die Kammer war groß. Drei Wege führten von hier weiter. Durch den einen waren sie eingetreten, ein zweiter wurde durch eine metallene Tür versperrt und ein dritter führte steile Stufen weiter in den Berg hinunter. Die Menschen und Elfen gingen zu einer Einbuchtung im Fels und legten ihre Waffen ab, bevor sie die Stufen betraten. Der Zwerg zögerte. Sein Hammer war ihm heilig und er wollte ihn ungern irgendwo zurücklassen. Sein Blick schweifte über die kostbaren Waffen, die dort lagen. Es waren besondere Einzelstücke, sicher jedes mit seiner eigenen Kraft. Der Zwerg lehnte seine Waffe an die Wand und beeilte sich den Anschluß wiederzuerlangen. Vor einem Fallgitter blieben sie stehen. Aaron und Berim drehten ein schweres Rad an der Seite, eine Kette wickelte sich auf und das Gitter hob sich langsam. Man Schritt hindurch vorbei an einem Abzweig über dem die Worte "Labyrinth des Fuchses" eingemeißelt waren. Der Hauptgang endete in einer großen Grotte. Stalaktiten, Stalakmiten und Steinsäulen prägten den Raum. Silberblaue Adern durchzogen das Gestein an vielen Stellen. Die Gäste durchschritten die Grotte und entzündeten Kerzen, die überall in kleinen Nischen standen. Nach und nach erhellte Licht die Grotte. An deren Ende, an einer künstlich geglätteten Wand, versiegelte eine große, aufrechte Steinplatte eine Grabstätte. Das weiße Symbol einer Spinne prangte über den Worten "Mondschatten Tavidon Trendfort". Darunter stand 1.Phex 1781 d.U - 12.Peraine 1832 d.U". Eine zweite Grabstätte lag offen. Eine gleichartige Steinplatte lehnte daneben. Sie trug kein Symbol, jedoch waren drei Aussparungen zu erkennen und der Schriftzug

Mondschatten

Thalion Trendfort

1.Phex 1822 d.U
17.Rondra 1852 d.U.


In der Grabbucht lehnte der offene Sarg mit Thalions Körper. Er zeigte immer noch keine Spuren der Verwesung. Jeder der Gäste trat einzeln an die Stätte der letzten Ruhe und gedachten seiner im Stillen, manche legten eine Gabe in das Grab oder schenkten dem Toten einen Gruß, während die anderen geduldig im Hintergrund warteten. Der Sarg wurde geschlossen. Die Waldelfin und ihre Gefährten murmelten leise Worte ihrer Sprache. Die drei Kuttenträger schoben mit vereinten Kräften die schwere Steinplatte vor das Grab. Jeder setzte die Skorpionfiguren in die paßgerechten Aussparungen der Steinplatte. Dann traten sie ehrfurchtsvoll zurück und erhoben gleichzeitig die Hände zu einem heiligen, stummen Gebet. Der Ritter salutierte. Berim starrte mit traurigen Augen auf das Grab. Aarons Gesicht war wie versteinert. Boromur, der nie in seinem Leben eine so stille Beerdigung erlebt hatte, murmelte leise vor sich ihn und spendete dem Toten geleitende Worte, damit er den Weg über das Nirgendmeer in Borons Hallen finden möge. Auf einmal quoll Nebel aus Thalions Grab, waberte über den Boden und auf die drei betenden Gestalten in ihren Kutten zu. Die Elfin rief eine Warnung. Sie spürte die Kälte des Nebels lange bevor er sie erreichte. Die drei wichen zurück. Der immer dichter werdende Nebel breitete sich aus, die Kerzen erloschen in seiner feuchten Kälte. Menschen, Elfen und Zwerg verließen langsam, rückwärts die Grotte.

Die Gäste waren verwirrt. Der Nebel füllte die gesamte Grotte, drang jedoch keinen Spann nach draußen. Aaron runzelte die Stirn. Irgend etwas oder irgend jemand hatte die Bestattung unterbrochen, fast als ob er sie nicht wollte. Sollte doch etwas wahres an der Geschichte von Xara gewesen sein. Oder hatte Berim recht, der fest glaubte, daß Thalion bei seinem Tod noch einen "Handel" abgeschlossen hatte. Boromurs Meinung, man solle sich nicht in den Tod und die Angelegenheiten Borons mischen, wurde endgültig bestätigt. Aaron ritt noch vor Aufgang der Praiosscheibe nach Westen. Berim kümmerte sich um das Jagdschloß. Die Waldelfin Alasariel Lärchensang blieb mit ihren Begleitern im Wald vor der Grotte. Die übrigen zogen in den nächsten Tagen ihre eigenen Wege.


Darkaad Daarodon

Personen : Gruppe um Gerrik und Xara   Gruppe um Aaron   Amstrad de Brion   Darkaad Daarodon  


 18.Efferd 7 n.Hal

Shanara übernahm die Führung. Anhand der Karte bewegten sie sich Nordwärts durch das Drachensteintal bis zum Drachenkamm. Die erste Gebirgskuppe passierten sie durch einen ausgetrockneten, unterirdischen Flußlauf, stiegen die Drachenscharte hinunter bis zur Finsterschlucht. Über eine natürliche Steinbrücke, konnte sie die hunderte von Schritten tiefe und mehr als fünfzig Schritt breite Schlucht überqueren, die sich Meilen von Westen nach Osten durch den Finsterkamm schlängelte.

 19.Efferd 7 n.Hal

Ein steiler Aufstieg auf der anderen Seite der Brücke stellte die Wanderer vor das erste große Problem. Keiner der Reisenden hatte ausgezeichnete Übung im Klettern und es war eine wahre Schinderei, die steilen Felshänge zu überwinden. Immer wieder kam es zu Stürzen, die Phex seid Dank, keine Opfer forderten. Xara schickte ihren Begleiter, den Raben Alkar in die Lüfte, um einen besseren Überblick über die Steilhänge zu erhalten. Ein Steinbussard erspähte die Beute und stürzte sich auf ihn. Eine wilde Jagd durch die Lüfte begann. Shanara rettete Alkar mit einem gezielten Bogenschuß. Der Pfeil streifte den Flügel des Raubvogels und verscheuchte ihn. Erschöpft kam die Gruppe endlich auf das Plateau des Falkenkars.


Durch die Ausläufer des Falkenkars entschied man, sich an die eingezeichnete Route der Karte zu halten und begann den Weg durch die Wolfsschlucht. Am Abend zeigten sich die ersten Bewohner des hügeligen Tals. Die Lagernden wurden von einem großen Rudel Finsterkammwölfe angegriffen. Man erwehrten sich seiner Haut und erhielten unerwartet Unterstützung von einem anderen Rudel. Binnen Sekunden waren alle Wölfe, bis auf ein starkes, männliches Exemplar, verschwunden.

Der Wolf fraß ein Stück Fleisch, welches Shanara ihm hinwarf. Während ihrer Wache lockte er die Jägerin fort von dem Lager weiter in das Tal hinein. Shanara wußte, das Verhalten des Tieres war artfremd und sie wollte der Sache auf den Grund gehen. Der Wolf brachte sie durch die Dunkelheit zu einer Erdhöhle, in der Shanara eine Tote Hündin mit einem Welpen fand. Sie packte den kleinen Welpen in ihre Jacke und kehrte zurück. Die Wölfe verschwanden endgültig in der Dunkelheit.

 20.Efferd 7 n.Hal

Shanara und Xara hatten am nächsten Tag viel Freude an dem kleinen, neuen Begleiter, der temperamentvoll und tapsig die Welt entdeckte. Gerrik und Erik runzelten dabei eher etwas die Stirn. Am Mittag kam man zu einem Flußlauf aus Norden. Sie folgten ihm, bis die Karte einen Umweg, einen Abzweig nach links zeigte. Die Reisenden hielten sich an die Karte. Der Entschluß war Gold richtig. Bereits eine Stunde später tauchte auf einem Hügel Richtung Fluß ein Troll auf, der die Menschen mißtrauisch verfolgte. An den steilen Grashügel der Falkenreisen kehrten sie zum Fluß zurück, dessen Bett sich mittlerweile in eine Schlucht verwandelt hatte. Im Süden hörten sie das Rauschen eine Wasserfalles. Shanara ging weiter direkt nach Süden. Sie sah nicht ein, wie auf der Karte eingezeichnet, zweimal die Schlucht zu überqueren. Zumal das Tor, welches sie suchten, mit einiger Sicherheit genau Südlich von ihnen lag.

Die Gruppe eilte weiter. Auf ihrem Weg schallte ihnen Kampfeslärm entgegen. Von der Anhöhe sahen sie ein gutes Dutzend Orks mit einem großen, in Felle gekleideten Mann kämpfen. Gerrik hatte zuvor einen schwarzen Kriegspfeil mit einer Stahlspitze gefunden und war wenig überrascht. Kurz entschlossen rannten die ersten den Hügel hinunter zur Hilfe. Die Hälfte der Orks lösten sich von der Gruppe und eilten ihren neuen Feinden entgegen. Erik streckte einen Ork mit einer Flammenlanze nieder, zwei weitere erstarrten durch seine Magie mitten in der Bewegung. Der Mann zerschmetterte den Schädel eines Angreifers mit einem steinernen Streitkolben. Gerrik kämpfte zwei Orks mit seinem Schwert nieder. Xara schickte ihren Stecken in den Kampf. Ein Speer durchbohte einen Ork bevor dieser sein Schwert niedersauen lassen konnte. Zeziliana kam langsam hinterher. Einer der Orks verwandelte sich in einen Hasen. Shanara geriet in Bedrängnis. Ein Schwertstreich holte sie von den Beinen und sie rollte den Abhang hinunter. Ein Stiefel stoppte ihren Sturz, eine Streitkolben krachte auf den Kopf des neben ihr fallenden Orks. Erik sah, wie ein Ork sich dem Mann näherte, der Shanara aufgefangen hatte. Er rief warnende Worte. Offensichtlich verstand der Mann ihn nicht. Das Schwert des Orks traf ihn mit einem gewaltigen Stoß in die Seite und fraß sich ins Fleisch. Shanara sah von unten die Spitze aus dem Körper ragen. Das Gesicht des Mannes zuckte nicht einmal. Der Ork zog seine Waffe heraus. Der Mann drehte sich um. Shanara eilte davon. Aus dem Augenwinkel sah sie das zu Tode entsetzte Gesicht des Orks. Das Schwert viel aus der Hand und er begann zu laufen. Der imposante Speer des Mannes holte ihn von den Füßen. Ein zweiter Ork hauchte wenige Sekunde später sein Leben aus. Erik und Xara eilten zu Shanara. Ihre Wunde war übel. Erik schaute auf und sah, wie der Mann mit seinen Speer zum Wurf ausholte. Die Waffe raste auf SIE zu. Shanara duckte sich, der Speer flitze über sie Weg und traf Erik in der Seite. Der große Magier flog einige Schritt nach hinten. Zeziliana flüsterte Worte der Macht. Vergebens. Gerrik eilte näher. Der Mann zischte mit dem Streitkolben durch die Luft und schlagartig wurde es Finster. Erik lag ein Spruch auf den Lippen - er besann sich eines Besseren. Gerrik spürte einen heftigen Schlag auf seinem Kopf und verlor die Besinnung. Es wurde heller. Shanara sah, wie der Mann, den Speer in der linken, den Streitkolben in der rechten einfach nach Süden ging. Er dreht sich kurz um, deutete auf sie, dann nach Norden. Sie rief etwas zurück. Der Mann streckte den Speer in die Luft und ein Blitzstrahl schoß aus heiterem Himmel auf Shanara hinab, schlug wenige Zentimeter vor ihren Füßen in den Boden und sprengte den Fels. Der Mann ging weiter.


Sie alle vermuteten, den Schattendruiden gefunden zu haben. Einzig die erste Begegnung war anders verlaufen, als erwartet. Immerhin lebten sie. Die Wunden wurden versorgt. Die Nacht zum Erholen genutzt.

 21.Efferd 7 n.Hal

Warum Darkaad sie nicht getötet hatte ? Sie würden sowieso bald, in zwanzig oder dreissig Götterläufen sterben. Und ihm war nicht danach gewesen. Er dachte lieber an Bernsteins Lebenstag.

Shanara und die anderen kamen an eine breite Steilwand. Nach kurzer Suche fand Erik ein elementares Siegel in dessen Mitte drei unbekannte Symbole beinahe aussahen wie ein "P", ein "G" und ein "T". Die Magier entdeckten arkane Kräfte, die durch Zufuhr einer großen Menge Energie aktiviert werden würde. Zeziliana schüttelte den Kopf. Ihr fehlte diese Fähigkeit. Erik versuchte es mit einer schwachen Energielanze. Die inneren Symbole fingen Feuer, leuchteten, aber die Kraft reichte nicht. Erik holte sich neue Kraft und schleuderte einen starken Hitzestrahl auf die Steinwand. Die Flammenzungen wucherten weit über das Siegel hinaus, die Symbole brannten weiter und das Feuer in ihnen erstarb ganz langsam. Der Fels formte sich, ein Gesicht aus dunklem Stein schälte sich heraus und fragte nach dem Begehr. Als Zeziliana die Kugel zeigte, öffnete sich der Mund des Gesichts weiter und weiter bis die Menschen hindurchklettern konnten.

Sie folgten einen langen, runden Gang stundenlang bis in ein kleines schmales Tal zwischen zwei hohen Bergmassiven. Überall in dem Tal lagen Knochen, hingen von den Bäumen, Schädel steckten auf Stangen, Runen verkündeten den Untergang. Es beirrte keinen und sie trafen auf ein zweites Siegel. Erik aktivierte es mit seiner Energie und wieder erschien ein Gesicht. Man fragte nach Darkaad. Das Gesicht wiederholte die Wort lauter und lauter bis das Gebrüll von den Wänden scholl und sich die Menschen vor Schmerz die Ohren zuhielten. Der Mund wuchs. Man eilte hindurch und folgte dem Tunnel.

Xara kam an eine Abzweigung und erspähte in dem Zwielicht der Laterne eine kleine fensterartige Aussparung. Sie machte die zehn Schritte in den Gang und starrte in die Dunkelheit. Sie hatte plötzlich das Gefühl in ein tellergroßes, oranges, katzenartiges Auge zu blicken. Shanara rüttelte sie und wedelte mit der Hand vor ihren Augen.

Der Weg, den sie beschritten, war nicht der Weg, den einst Kobald selbst gegangen war, um Darkaad zu bezwingen. Sie hatten nicht das Tor am Kaltwasserkar, unterhalb des Wasserfalles geöffnet. Sie hatten den Weg der Karte verlassen und ein anderes Tor entdeckt. Was immer damals passiert war, Kobald kehrte zurück zum Schloß von Lorac Delamar und Darkaad blieb im Finsterkamm. Kobald hatte kein Wort verloren. Es blieb sein Geheimnis. Das wunderschöne Tal, das die Reisenden nun betraten hatte wohl kein Sterblicher und kein Schatten zuvor gesehen. Es war das Reich Darkaads, sein Hain. Das Steingesicht hatte ihm die unerwünschten Besucher angekündigt. Er war beschäftigt. Das Geschenk war wichtiger. Morgen würde die Konstellation stimmen. Verpaßte er die Chance, müßte er einen Götterlauf warten und ein neues Geschenk suchen. Die Menschen konnten warten.

Shanara bewunderte das frische, saftige Gras und die teilweise blühenden Bäume in dieser Höhe des Gebirges. Trat man auf das Gras, stellte es sich binnen Sekunden auf. Kein Baum zeigte Zeichen einer Wunde. Blumen blühten in ihrer Pracht. Man begab sich vorsichtig auf die Suche nach dem Druiden.

Darkaad nutzte die Nacht. Ihm war langweilig. Mal sehen, wer da durch seinen Wald schlich. Lautlos und wie unsichtbar näherte er sich dem Lager. Er strengte sich nicht an, er lief einfach durch die Nacht. Kurz bevor er an das Feuer trat, bemerkten ihn die Menschen. Ah, es waren die selben wie vor der Drachenspitze. Unbelehrbar. Sie störten. Er faßte Streitkolben und Speer fester. Die Zauberfrau spürte einen magischen Schlag. Ihre Besinnung schwand. Die beiden anderen Frauen jagten den kleinen Welpen nach, der zuvor das Lager verlassen hatte. Darkaad lächelte im Inneren, als er sie so "spielen" sah. Der große Mann rechts murmelte. Darkaad schlug mit dem Streitkolben leicht durch die Luft in seine Richtung. Das Murmeln verstummte. Er war in einer Eishülle gefangen. Der anderen Mann zerrte an seinem Schwert. Es weigerte sich aus der Scheide zu kommen. Was für ein Kämpfer. Darkaad stieß unmutig mit dem Speer zu. Die breite Spitze verfehlte ihr Ziel knapp. Der Mann redete. Er nervte. Darkaad kratzte ihn an der Seite. Der Mann zog ein anderes Schwert. Witzig. Darkaad bemerkte, wie eine der Frauen von dem Hund gebissen wurde. Der Welpe gefiel ihm - hatte seinen eigenen Geschmack. Die Andere flitzte zu der Ausrüstung. Darkaad verlor das Interesse an dem Mann, bis dieser sein Schwert durch seinen Bauch stieß und herauszog. Der Druide steckte seinen Streitkolben weg, richtete den Speer auf und fragte den verdutzten Mann :"Wie wollt ihr etwas töten, was bereits tot ist ?". Nach diesen Worten ging er zu den Frauen. Die kleinere, freche hielt ihm eine Kugel mit einer Wolke unter die Nase. Es war seine Kugel, eine Gewitterkugel. Die Kugel war wertlos. Die Menschen redeten von einer Höhle der Toten. Es war ihr Problem. Er nahm die Kugel trotzdem und ging. Die Frau rief ihm etwas hinterher - sie standen in Verbindung mit den Verrätern. Daarkad schnaufte. Wut stieg in ihm auf. Er schleuderte den Speer auf die Frau, durchbohrte ihre Seite und schleuderte ihren Körper in die Nacht. Sekunde später materialisierte sich der Speer in seiner Hand. Die Männer attackierten ihn. Er jagt den Großen mit dem Knüppel. Der andere hinter ihm. Der Mann ruckte in der Dunkelheit und kippte vorn über. Darkaad jagte einen Blitz durch seinen Speer und hielt ihn auf den Mann. Der andere durchbohrte Darkaad zum zweiten Mal mit dem Schwert. Der Blitz zuckte durch die Nacht, erfaßte den Mann am Boden, wurde gleichzeitig von dem Schwert abgeleitet, schockte den Mann hinter dem Druiden und zischte spurlos in den Boden. Darkaad hörte den Mann hinter sich umkippen. Der vor ihm lag unversehrt und starr am Boden. Ein zweiter Blitz durchzuckte die Nacht. Ein Eisstrahl klirrte. Ein Fußtritt in die Seite. Aarrgch - ein Schutzspruch. Er könnte ihn im Boden versinken lassen ... Nein ... Für den Schattenrat arbeiteten diese nicht. Es waren arme Irre. Er würde sie morgen rauswerfen oder töten. Er hatte Hunger. Er bedeutete den restlichen Menschen, sich um ihre Freunde zu kümmern und verschwand.

Die Gruppe fand zusammen. Alle lebten. Shanara konnte mit Hilfe der Heiltränke gerettet werden. Erik löste sich nach einiger Zeit aus der schützenden Erstarrung, Zeziliana erwachte und klagte über starke Übelkeit und wahnsinnigen Dumpfschädel. Gerriks Haare standen zu Berge und er war total ausgelaugt. Xara war unverletzt und konnte sich um die anderen kümmern. Man ruhte an Ort und Stelle.


Der neue Rat der Schatten


Eine Reihe von prunkvollen Sesseln, jeder ein einzigartiges Stück Schnitzkunst, stand in einem Kreis um einen mächtigen, U-förmigen Tisch aus dunkelbraunem Holz. Die beiden schweren Sessel am hinteren Bogen des Tisches gehörten traditionsgemäß dem Schatten und seiner Begleitung. Danach wechselten sich die Plätze der hohen und niederen Mitglieder ab. Jeder Sessel trug das Emblem einer der Familien. Normaler Weise befand sich das gleich Emblem als kostbare, große Einlegearbeit in dem Tisch vor dem Sessel. Dieses Mal jedoch waren die Familienwappen aus dem Tisch entfernt worden. Die Oberfläche war einfarbig dunkel und leer. Einzig eine frische, rote Rose und ein schwerer, schwarzer Dolch lagen auf dem Tisch. Die hintere Wand schmückte ein neuer imposanter Wandteppich auf dem eine schwarzgraue Gesichtsmaske auf hellgrauem Grund von weißen, flammenden Strahlen aus dem Hintergrund erleuchtet wurde. Auf der rechten und linken Seite hingen zwei breite Fahnen von der Decke. Die eine zeigte die Symbole der Zwölfe in goldener Farbe auf weißem Grund. Die andere trug ein verschnörkeltes, weißes "T" auf schwarzem Grund. Über der Eingangstür des Ratsaales prangte das neue Wappen des Freiherrn Amstrad de Brion - eine rote Rose über einem schwarzen Dolch auf grauem Grund. Die Mitglieder standen im Saal, unterhielten sich leise und warteten.

Ein Gongschlag ertönte. Die Zeit der Nachtwende. Alle Mitglieder des Schattenrates waren gekommen. Alle bis auf den Hochwohlgeborenen Markverweser, Lorenzo de Sabidurio zur Feste Donnersturm aus der Schwarzen Sichel. Schattenläufer wurden ausgesannt, den Markverweser aufzuspüren. Kein Mitglied wollte den Weg der "Erlösung" gehen und so ließ Amstrad de Brion die Flügeltüren schließen und verkündete, daß niemand diesen Raum verlassen durfte, bis eine einstimmige Entscheidung über den Fortbestand des Schattenrates gefallen wäre.

Die Diskussionen dauerte mehrere Tage und Nächte lang. Kobald Surin stellte mit Unterstützung von Eritania Lugitari einen Vorschlag für einen überarbeiteten Kodex vor. Der Markverweser Fresenius Romeron unterbreitete eine Alternative. Er gehörte der konservativen Seite des Rates an und mißbilligte vor allem die unterbreiteten Neuerungen bezüglich der Aufnahme neuer Mitglieder und dem Verbot persönlicher Schattenläufer. Ophelia und Eritania gelang es nach und nach das Vertrauen der Mehrheit zu gewinnen, nicht ohne Zugeständnisse zu den alten Regeln zu machen. Amstrad hielt sich nun bewußt aus den Debatten heraus. Kobald versucht so ruhig und sachlich wie möglich zu bleiben. Ariana, die bei weitem nicht immer die Meinung ihrer Zwillingsschwester Eritania teilte, taktierte geschickt mit Argumenten beider Seiten, um letztendlich eine eigene kleine Gruppe von dem Entwurf Eritanias zu überzeugen. Eine Abstimmung brachte zehn gegen zwei Stimmen. Kobald versuchte die verbliebenen zwei unter Druck zu setzen. Amstrad griff ein und vermittelte. Der Rat brauchte Mitglieder die überzeugt hinter ihrer Aufgabe standen. Die Tochter des alten Barons Haron von Rotenstein brachte neue Vorschläge in die Diskussion, die Amstrad gefielen. Selbst der Baron, ein verfechter des alten Kodex konnte den Worten seiner Tochter kein Argument entgegen bringen. Bedächtig stimmte er ihr zu. Fresenius stand allein. Amstrad merkte, daß der Markverweser eigentlich mit der letzten Fassung einverstanden sein könnte, aber sein eigenes Selbstbewußtsein war ihm im Weg. Er gab mit einer Geste Ophelia einen Hinweis. Sie ermöglichte durch einen diplomatischen Trick eines kleinen, unbedeutenden Zugeständnisses dem Markverweser, ohne sein Gesicht zu verlieren, den neuen Kodex zu akzeptieren. Die letzten acht Familien, die letzten zwölf Mitglieder des Schattenrates waren sich einig. Der überarbeitete Kodex wurde niedergeschrieben.

Die Wahl der Hohen Fünf gab keine Überraschung. Der Hochgeboren Freiherr, Amstrad de Brion wurde als neuer "Schatten" und Hüter des Schloßes Drachensteins im Finsterkamm einstimmig bestätigt. Der Hohe Herr Kobald Surin zur Nachtwacht in der Roten Sichel übernahm als bester Kämpfer das Amt "des Schwertes". Die Aufgaben "der Hand" blieben bei der Wohlgeborenen, Edlen Ophelia Lugotaan von Landran's Turm in den Nebelzinnen. In Ermangelung eines passenden Kandidatens blieb die Position "des Auges" frei. Es oblag dem Schatten einen Würdigen zu finden und bis dahin vollführte Kobald Surin sein altes Amt weiter. Der Hochwohlgeborene Markverweser, Lorenzo de Sabidurio wurde von den Rechten und Pflichten des Schattenrates entbunden. Die Wohlgeborenen Dame Eritania Lugitari wurde zusamen mit ihrer Schwester Ariana in den hohen Rat erhoben als "das Wort".

Alle anwesenden Mitglieder schworen ihren heiligen Eid auf den Kodex im Namen der Zwölfe, in Gedenken an die finstere Herrin und für die Ehre des Rates bei ihren Seelen. Der Ritterschwur der Dunklen Rose wurde nicht erneuert. Die alten Titel aus den Namen gestrichen. Die Abzeichen der Ritterschaft von den Rüstungen und Waffen entfernt und durch das neue Symbol des Rates, durch die Schattenmaske, ersetzt. Die Vergangenheit wurde abgeschlossen. Amstrad hatte es tatsächlich geschafft, aus den Trümmern und dem Mißtrauen, den Ansatz für einen neuen, selbstbewußten Rat zu gründen, dessen Zusammenhalt nicht allein Mittel zum Zweck, sondern in erster Linie einer guten Sache dienen sollte, hinter der jedes Mitglied mit seiner Überzeugung stand. So stand auch einer Berufung neuer Mitglieder nichts mehr im Wege, wenn auch die Voraussetzungen zur Aufnahme sehr schwer zu erfüllen waren. Das Bündnis war gerettet, das Band unzerissen - er existierte weiter - der Schattenrat.



Darkaads Geschenk

Personen : Gruppe um Gerrik und Xara   Gruppe um Aaron   Amstrad de Brion   Darkaad Daarodon  


 22.Efferd 7 n.Hal

Am nächsten Abend fand man den Eingang einer riesigen Höhle. Gerrik schätzte die Öffnung auf fünfzig Schritt. Unvermittelt tauchte Darkaad auf und forderte Shanara und die anderen auf, hereinzukommen und ihm zu helfen, als ob es nie einen Kampf gegeben hätte. Verdutzt folgte Shanara, Xara und später die anderen. Sie kamen in eine kleine Höhle. In der Mitte befand sich eine rundes Steingefäß mit einer tönernen Gußform. Der passende Deckel lag daneben. Von dem Steingefäß nach oben weg, führte eine Steinrinne an die Wand, in Zickzacklinien an der Wand nach oben zu einem, mit einer Metallplatte verschlossenem Loch. Ein Hebel diente zum Öffnen der Platte. Es gab einen Wassertrog in der rechten Ecke. Eine Steinwand mit Einbuchtungen und einigen Gegenständen, darunter auch die Gewitterkugel war links zu sehen. Darkaad gab Anweisungen und stellte kurze Fragen über bestimmte Begabungen. Zeziliana wurde nach draußen geschickt. Gerrik bekam einen Handspiegel und mußte sich im Eingang postieren. Darkaad brachte den Spiegel in Position. Shanara mußte auf einen schmalen Sims über den Eingang klettern und ein Prisma exakt einen Spann unterhalb einer Markierung in einem bestimmten Winkel halten. Xara wurde gefragt, ob sie Hitze verträgt und sollte den Hebel zur Rinne bedienen. Darkaad legte einen tränenförmigen Rubin in die Gußschale, in eine Aussparung in der Mitte. Erik, der einzige, der gezielte Energie entfesseln konnte, wurde gegenüber des Steingefäßes gestellt und sollte auf Darkaads Zuruf die Energie des Feueres in das Juwel jagen. Als alle richtig standen, ging Darkaad nach draußen, blickte in die Praiosscheibe und wartete Minuten - Stunden. Shanara platschte vom Sims. Gerriks Arme sanken nach unten. Xara wußte nicht was sie tun sollte. Erik setzte sich. Als die Praiosscheibe kurz davor war, in der Mitte eines steilen Gipfels zu stehen, wurde es hektisch. Darkaad korrigierte barsch den Spiegel, scheuchte Shanara auf den Sims, zeigte auf Xara, warf Erik einen finsteren Blick zu, ein Praiosstrahl schien auf den Spiegel, reflektierte zum Prisma, wurde gebündelt und ein sichtbarer Lichtstrahl traf den Rubin. Darkaad schrie Xara an. Sie legte den Hebel um und spürte eine immense Hitze. Eine rotglühende silbrige Flüssigkeit rann die Rinne entlang und floß in die Gußform. Es zischte. Die Hitze war unerträglich. Darkaad schrie "Jetzt" und ein Blitzstrahl schoß in den Stein. Gleichzeitig entlud Erik eine Flammenlanze in das Juwel. Es zischte und stank. Darkaad befahl aufgebracht das Wasser zu bringen. Es gab niemanden dafür. Er rannte zum Trog und schleuderte das Wasser auf das Gefäß. Es zischte und dampfte. Die Sicht schwand. Ein Eisfilm umschloß plötzlich das Juwel. Es kühlte ab. Der Lichtstrahl erstarb. Shanara sprang herunter, Gerrik bekam den Spiegel geschenkt. Erik hörte ein Lob aus dem Mund Darkaads. Die Menschen strömten ins Freie, weg aus dem Dampf, der Hitze und dem Rauch. Darkaad löste die Form und enthüllte eine kunstvolle Kette mit einer silbrigen Fassung, die den Rubin einschloß. Im Inneren des Rubins wirbelten glühende, goldene Sterne. Ein kleines Wunder. Darkaad murmelte etwas entzückt und brachte das Geschenk sofort zu Bernstein. Die Gruppe stand wieder einmal allein und verwirrt im Eingang der Höhle.


Bernstein gefiel das Geschenk sehr gut. In der Dunkelheit tanzten die Sterne des Lichts im Rubin. Sie brachten den Stein zum Glühen. Die große Grotte wurde in ein dunkles, rotes Licht gehüllt. An den Wänden tanzten und flirrten goldene Lichtpunkte wie Sterne am Firmament. Darkaad und Bernstein bewunderten die halbe Nacht das Spiel. Es war dem Druiden gelungen, die Strahlen der Praiosscheibe in die Dunkelheit zu bringen. Es war göttlich. Darkaad betrachtete Bernstein. Sie war gewachsen. In dem Licht reflektierten ihre kupfergelben Schuppen. Ihr Rückenkamm hob und senkte sich in ruhigen Atemzügen. In ihren großen Echsenaugen sah er die Reflexionen des Schmuckstücks, welches durch die Kraft ihrer Magie vor ihrem Kopf schwebte. Es war eine friedvolle Nacht ohne Schmerz. Bernstein schützte ihn vor der Qual. Sie nahm seine Schmerzen auf sich, doch waren sie gering für ein Wesen ihrer Art. Darkaad Daarodon erinnerte sich in dieser Nacht. Er hatte sie aufgezogen aus dem Ei, welches er in den Trafaldruninwald der Eichen gefunden hatte. Damals hatte er gedacht, das Leben im Ei wäre bereits vergangen und hatte es als Schmuckstück mitgenommen. Erst in dieser Welt, wahrscheinlich durch die Energie des Portals, erwachte die Kraft in dem Ei erneut. Sie war ein häßliches kleines Etwas gewesen. Ihr hatte der Glanz und die Magie ihrer Eltern gefehlt. Als sie erkannte hatte, was ihr fehlte, hatte sie aufgehört zu essen. Sie wäre verhungert, hätte sie Darkaad nicht zu dem großen Schwarzen im Westlichen Finsterkamm gebracht. Der Kampf war erbarmungslos gewesen, aber er hatte sie dadurch gerettet, Tragarnat Karigon Estrach gab der kleinen Bernstein die Magie und das Wissen der Ahnen und ihr Leben. Wer hätte je gedacht das ein Schwarzer einen Kupfernen retten würde. Hier und da sahen sie sich sogar ohne zu kämpfen. Aber diese Welt war anders. Verworrener, unbestimmter, inkonsequenter, unfokusiert. Von da an hatte sich Bernstein prächtig entwickelt. Sie nahm ihm den tödlichen Zorn. Er war ruhiger geworden in den letzten Götterläufen. Darkaad hatte mit ihr den Hain erschaffen und für beide eine Platz des Friedens gefunden. Beide litten in dieser Welt, aber hier hielten sie es aus und halfen sich gegenseitig. Sie nahm ihm die Qualen des Fluches. Er gab ihr die Geborgenheit und die Kraft, um ihren Lebenswillen zu erhalten. Bernstein lächelte. Sie war gütig. Ihr goldgelbes Auge blinzelte ihm zu. Er sollte den Menschen helfen.

 23.Efferd 7 n.Hal

Die Gruppe traf den Druiden am nächsten Morgen. Er saß wie ein Kind, die Beine über die Steinkante baumelnd, mit dem Streitkolben hier und da auf den Boden klopfend am Eingang und wartete auf sie. Er hörte sich ihr Problem an. Sie suchten einen Ort, an dem die Seelen der Toten verweilten, die sich gegen ihren Weg in die neuen Sphären sträubten. Sei es aus Angst, aus Verzweiflung, aus Einsamkeit, aus Zorn oder einer unerfüllten Aufgabe, an die sie sich klammerten. Allein zu diesem Ort konnte sie nur der Tod führen. Die Frau mit dem Stock erwähnte, daß sie bereits lebendig bei dieser Höhle waren. Darkaad fragte nach. Offensichtlich hatte das Chaosjuwel, welches Xara damals getragen hatte, auch hierbei seine fatale Wirkung entfaltet und die Gesetzt ins Chaos gestürzt. Darkaad war leicht entsetzt, daß das Juwel hier aufgetaucht war. Er hoffte, es sei in guten Händen zurück an seinem Ursprung. Xara erzählte von dem Lichtelfen. Darkaad verzog in Gedanken das Gesicht. Ein Lichtelf - widerlich. Aber wie war er hergekommen. Und war er zurückgekehrt. Gab es einen Weg ? Die Menschen nervten ihn. Sie wollten an einen Ort, der für ihresgleichen bewußt unerreichbar war. Niemand wollte freiwillig sterben. Das Angebot hatten sie bereits abgelehnt. Er müßte mehr über diesen Elfen erfahren. Bernstein könnte ... jaja. Gut, diese Menschen waren stur und Bernstein brüllte. Er würde sie zu einer Linie der Kraft führen. Dort könnte sie den Bruch wagen. Zu welcher Ansammlung gefesselter Seelen es sie bringen würde, wer wußte das schon.

Gerrik, Xara, Erik, Shanara und Zeziliana folgten dem unberechenbaren Druiden. Er schien so wankelmütig wie eine Harpie. Irgendwo mitten im Tal blieb er stehen, zeigt auf eine Stelle und meinte, dort sei die "Höhle" zu sehen. Sie sahen nichts. Wieder meinte der Druide, nur der Tod könnte die Toten finden. Man redete weiter auf ihn ein, versuchte etwas Magie. Ohne ersichtlichen Grund beschloß Darkaad, sie selbst an ihr Ziel zu bringen.

Diese Menschen waren langsam. Sie konnte nichts. Sie verstanden es nicht. Er wollte sie loswerden. Töten konnte er sie wegen Bernstein nicht. Eigentlich hatte er auch keine Lust. Gut - er war im Sinne der Menschen tot. Er war sicher auch im Sinne dieses Gottes Borons tot. Warum nicht. Er steckte seinen Speer in den Boden, exakt über der Kraftlinie unter ihnen. Er spürte die Kraft strömen. Er hob seinen Streitkolben wie ein Zepter mit beiden Händen über seinen Kopf und konzentrierte sich. Er sammelte die Energie. Er fokusierte sie wie das Prisma das Licht des Praios. Darkaad nahm sie auf, klar, rein und voller Macht. Er rief die Elemente, befahl ihnen den Bruch in ihrer eigenen Existenz zu zeigen und sein Geist folgte ihren Zeichen. Eine dunkle Spalte öffnete sich. Er steuerte hinein.

Die Bäume, der Boden alles begann sich für die Gefährten zu drehen. Es verschwamm, flimmerte, sprang vor und zurück. Es veränderte sich. Sie standen in einer engen, schattigen Schlucht. Darkaad stand unverändert vor ihnen. Sein Gesicht, oder was davon unter dem wallenden schwarzen Haaren, Augenbrauen und Bart zu sehen war, starrte auf den erhobenen Streitkolben. Die Schlucht entlang, halb von Schutt und Geröll vergraben, standen hunderte von Steinfiguren. Hinter ihnen saß, vor einem dunklen, jedes Licht verschlingenden Höhleneingang, eine schwarze Gestalt. Verhüllt in eine schwere Robe waren weder Hände noch Füße noch Gesicht zu erkennen. Das Wesen wisperte Worte. Es warnte beständig die Lebenden, in die Höhle der verlorenen Seelen zu gehen. Der Tod würde dort warten. Auf Fragen reagierte die Kreatur nicht. Sie existierte nicht wirklich. Schnell orientierte sich die Gruppe. Bis auf Zeziliana, deren Magieresistenz sich dem Zauber Darkaads entgegengestellt hatte, waren alle da. Sie betraten die Höhle. Schattenhafte Hände und Gesichter dragen aus dem Eingang und zogen die Menschen in die Dunkelheit. Es wurde schwarz.

Was immer jedem Einzelnen in der Höhle der verlorenen Seelen widerfuhr, blieb im Verborgenen, so wie das Innerste unserer Seelen nie ganz einem anderen Menschen offenbart werden wird. Doch alle schafften es, den Verlockungen, dem unendlichen Klagen des Leids, der Mutlosigkeit und Sinnlosgkeit des Lebens - oder des Todes, zu entfliehen. Shanara fand als erste den Weg in das Licht. Draußen beobachtete sie, wie sich ein Nebel in den Steinfiguren des Tales bildete. Der Nebel einer Frau, die von den Umrißen aussah, wie Xara. Die Frau sackte in sich zusammen, sank auf die Knie, die Schultern hingen herab, der Kopf blickte mutlos auf den Boden. Der Nebel festigte sich mehr und mehr, daß Shanara bange wurde. Der Nebel lößte sich wenige Sekunden später und Xara sprang aus der dunklen Höhle in's Licht. Sie sah wie Darkaad leicht schwankte. Wieder und wieder kamen die gleichen Worte über seine Lippen. Der Streitkolben sackte ein Stück nach unten. Erik rannte aus der Höhle. Ein tiefer, grimmiger, beinah erschreckender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Darkaad taumelte, das Bild um sie herum verschwamm erneut. Von Gerrik gab es keine Spur.

Gerrik konnte durch das Schattenschwert als einziger die Schatten der Seelen an diesem Ort wahrnehmen. Es waren hellere Flecken und Formen in der ewigen Dunkelheit des Nichts. Er sah den Haß, den Zorn, das Leid, die Verzweiflung und den Unglauben in einer niemals endenden Qual. Sein Wille zog ihn weiter und er fand die einzige Gestalt, die scheinbar gelassen auf jemanden wartete. Er fand den Schatten Thalions. Die anderen Seelen griffen ihn an, beschimpften ihn, versuchten ihn zu quälen, doch es waren nur Schatten. Gemeinsam suchte Gerrik und Thalions Schatten den Ausgang. Vergebens. Es gab keinen Weg gemeinsam. Kein Schatten konnte ohne eine körperliche Urne der Energie den Ort seiner Verdammnis verlassen. Und Gerrik trug keine bei sich. Beide irrten durch das Nichts.

Darkaad ging auf die Knie. Schweiß stand auf seiner Stirn. Das Bild um sie herum flimmerte mehr und mehr. Darkaads Stimme wurde schwächer. Der Eingang zur Höhle verkleinerte sich. Xara fürchtete um Gerrik. Shanara bemerkte in letzter Minute einen weiteren Nebel in den endlosen Reihen der Steinfiguren. Sie rannten dorthin. Neben dem unförmigen Nebel entdeckten sie die Steinfigur von Thalion Erik erinnerte sich, wie er vor einige Götterläufen Shanara aus solcher Figur befreit hatte. Sein Spruch zeigte Wirkung. Der Stein bröckelte ab. Kleidung kam zum vorschein. Man half nach bis endlich Thalion verwirrt und von dem Licht geblendet unter ihnen stand. Er lebte, daran gab es keinen Zweifel. Aber wo war Gerrik ? Der Nebel hatte sich aufgelöst. Wo blieb er ?

Der Schatten neben Gerrik war plötzlich verschwunden. Gerrik mußte ihn wiedefinden. Darin bestand seine Aufgabe. Er folgte seiner inneren Stimme und trat in's Licht - dort wo Thalion stand. In letzter Sekunde. Die Verzerrung der Sphäre schloß sich. Der Streitkolben viel Darkaad aus der Hand. Der Druide krachte bewußtlos auf den Boden. Die Welte drehte sich. Einen Atemzug später standen sie alle in dem Wald des Druidenhains. Es dauerte einige Zeit bis die Besinnung richtig zurückgekehrt war. Darkaad war verschwunden, einzig der Streitkolben lag im Gras. Erik und Shanara hatten es geschaft. Ihre Körper hatten Schatten. Thalion lebte, auch wenn er es am Anfang nicht richtig verstand. Das Letzte an das er sich erinnerte, war ein tödlicher Streich eines Degens. Gerrik und Xara waren wohl auf und beantworteten Zezilianas neugierige Fragen so gut sie konnten, bevor sie Thalion die ganze Geschichte erzählen mußten. Erik liebäugelte dabei kurze Zeit mit dem im Gras liegenden Streitkolben. Ein paar Bemerkungen von Gerrik und seine eigenen Schlußfolgerungen brachten ihn zur Vernunft. Gemeinsam verbachte man den Rest des Tages am Ausgang des Tales mit Rasten und Erzählungen. Thalion fand erstaunlich schnell seine scharfe Zunge und erfreute sich bester Gesundheit.

 24.-27.Efferd 7 n.Hal

Der Rückweg gestalltete sich Anfangs als leicht. Zum Unglück gab es am folgenden Tag einen herben Temperatursturz und bald darauf fiel Schnee. Eine der Launen des Finsterkammes mitten im Sommer. Xara, Shanara und Gerrik machte es am wenigsten aus. Zeziliana und Erik fluchten vor sich hin, doch hatten alle warme Kleidung bei sich und konnten der Kälte trotzen. Allein Thalion in seinem dünnen Festgewand litt sehr. Die vielen Decken und notdürftigen warmen Sachen halfen die Not zu lindern, jedoch ging es ihm von Tag zu Tag schlechter. Hinter der Wolfsschlucht wurde das Wetter schlagartig besser. Als ob es sich das Gebirge überlegt hatte, verzogen sich die Wolken wie in einem Sturm nach Westen und strahlende, warme Sonne begrüßte die Wanderer. Thalion half es nicht. Xara kam es sogar vor, als wäre die Sonne fast schlimmer als die Kälte für den Mann. Der Abstieg zur Brücke über die Finsterschlucht war schwierig. Der Felsen war vereist und extrem rutschig. Es dauerte einen ganzen Tag bis sie diese Hürde überwunden hatten. Man überschritt die Brücke und schlug ein Nachtlager auf.

 28.Efferd 7 n.Hal

In dieser Nacht weckten Schreie die Reisenden. Thalion krümmte sich vor Schmerzen, war leichblaß. Blut lief aus seinem Mund. Er war bei bewußtsein. Der Schmerz machte es ihm unmöglich zu sprechen. Er überwältgte ihn. Voller Panik versuchte er irgendwohin zu entkommen. Es gab keinen Weg. Keine Gande. Gerrik packte ihn. Der Schmerz gab dem viel schmächtigeren Mann unmenschliche Kraft. Erst als Zeziliana half, konnten sie Thalion zu seinem eigenen Schutz festhalten. Unendlich erscheinende Minuten schollen seine gräßlichen Schreie in die Dunkelheit. Getragen von den Winden der Finsterschlucht brachte sie ein unheimliches Echo zurück. Den Reisenden blieb das Herz stehen. Das Echo klang wie das hämische Gelächter hunderter, stimmloser Kehlen.

Im Morgengrauen eilte die Gruppe weiter. Am Sims entlang, einen Aufstieg hinauf bis zum Durchstieg des Drachenkamms. Thalion war erstaunlicher Weise noch in der Nacht zu Kräften gekommen. Er hatte keine Verletzungen, spürte keinen Schmerz und fühlte sich mehr oder weniger wohl. Vergessen hatte er nichts. Er erinnerte sich an die Nacht. An die Qual. Er erinnerte sich auch an die Einzelheiten seines Todes. Und an seine letzten Worte an seinen Gott. Aber etwas war schief gelaufen. Solche Schmerzen kamen nicht von Phex. Solche Schmerzen sandte keiner der Zwölf einem gläubigen Diener. Was hatte er eingetauscht? Oder wer hatte ihn wirklich erhört?


Die Rückkehr


...



Inhalt Praios/Rohal Beilunker Reiter 23.08.2001