Dunkelwasser (1)


Historica Gideon 11. Dekade der Zeit   


Laßt Euch nicht täuschen von der Zeit. Sie versteht es in heimlicher Perfektion unsere Gedanken, Sinne und Wege immer in die gleichen Bahnen zu lenken. Ein ewiges Rad der Wiederholung.



Schauplatz : Farhain  

 Prolog

Es war die Zeit der Dämmerung. Die Sonne schenkte dem Himmel einen zarten rosa Hauch im Westen, während der Mond im Osten bereits über die hohen Wipfel des Waldes lugte. In der kleinen Ansiedlung Dorfell wurden die Kerzen und Fackeln entzündet, um die Schatten der Nacht für eine Weile noch fern zu halten.

Der Bauer Corridon, seine Frau Emilie und seine drei Kinder Tom, Torin und Lydia saßen zu Tisch und genossen das tägliche Abendbrot in gemütlicher Stimmung. Die Ären standen gut, das Gemüse war von der Schneckenplage befreit und selbst die beiden Kühe spendeten mit Freude ihre Milch. Corridon und seine Familie dankten, wie jeden Abend vor dem Essen der Göttin der Fruchtbarkeit und des Feldes, für ihren Beistand und ihr Wohlwollen in diesem Jahr. Lydia erzählte leicht verlegen von ihrem neuen Verehrer Mortin Bachgrund. Wie immer ärgerten sie ihre Brüder mit frechen Bemerkungen, bis Emilie sie streng zurechtwies. Corridon, milde lächelnd, stellte ein paar Fragen über den neuen Burschen. Er kannte den Jungen, ein gutmütiger Kerl, der in der Mühle arbeitete. Seine Tochter, die Älteste seiner Kinder kam ins heiratsfähige Alter. Langsam wurden aus den kleinen Neckereien ernstere Liebschaften. Lydia war sehr hübsch, charmant und überall beliebt. Corridon blickte lange seine Frau an. Lydia hatte viel von ihr. Seine Gemahlin war, trotz der Zeichen des Alters, eine Schönheit. Seine Gedanken schweiften ab. Er erinnerte sich an den grobschlächtigen Kerl, mit dem er sich um Emilie geprügelt hatte. Eine gebrochene Rippe und der Verlust eines Zahnes waren die Folge. Aber es war es wert gewesen. Emilie war seine große Liebe und seine Kinder sein ganzer Stolz. Lydia schenkte ein wenig des Bauernweines nach und grinste Corridon an: „Tut es immer noch weh.“ „Was mein Schatz?“, entfuhr es dem Bauer wie einem erwischten Kind. „Die Rippe mein Lieber, die Rippe.“ Corridon lachte und die beiden Söhne kicherten leise. „Du bist eine Hellseherin, Emilie.“ Die Bäuerin zuckte mit den Achseln und antwortete: „Bei dem Blick in Deinem Gesicht geht es immer um das eine. Aber mal Dir die Geschichte nicht zu schön aus. Denke daran, wenn ich die Bratpfanne Dir anstatt ihm über den Rücken gezogen hätte, dann wäre ein anderer der Held des Tages geworden.“ Corridons Frau lachte warmherzig und schenkte ihrem Mann einen Kuß. Wieder kicherten Tom und Torin. Lydia war ein wenig bleich geworden. „Alles in Ordnung meine Kleine?“ fragte Corridon. „Ich glaube, ich habe zu viel gegessen. Ich werde kurz raus gehen und mich dann hinlegen.“ „Mach das, Lydia“, bekräftigte ihre Mutter, „ich werde später nach Dir schauen. Du bist wahrlich recht blass.“ Lydia stand auf. Ihr Magen grummelte laut, ihr war übel und sie merkte, wie die ersten Krämpfe einsetzten. Rasch huschte sie an die frische Luft. In letzter Sekunde erreichte sie die hintere Ecke des Hauses und erbrach sich. Da lag das gute Essen. Was für eine Verschwendung, ging es ihr durch den Kopf. Immerhin beruhigte sich der Magen. Langsam betrat sie das Haus durch den Hintereingang und schlich in ihr eigenes kleines Zimmer. Sie war sehr stolz, endlich eine Welt für sich zu haben, nachdem sie Jahrelang mit den beiden Quälgeistern von Brüdern ein Zimmer geteilt hatte. Corridon hatte den kleinen Ausbau mit eigenen Händen gezimmert. Lydia huschte in ihr Bett, schickte ein Schutzgebet an die Götter und schlief ein.

Kurz nach der Nachtwende, die Schatten hatten sich ihren nächtlichen Platz im Dorf erobert, schaute Emilie in Lydias Zimmer. Ihre Augen weiteten sich. Das Kissen war voller Blut, das Gesicht ihrer Tochter weiß wie Schnee und die Augen weit aufgerissen. Der Körper lag verkrampft im Bett. Emilie schrie. Corridon eilte herbei. Der Schlag, der ihn bei dem Anblick seiner Tochter bis in sein Mark traf, lähmte ihn für Sekunden. Er eilte zu dem gekrümmten Körper, nahm ihn auf die Arme und rannte nach draußen. Emilie sollte bei den anderen Kindern bleiben.

Minuten später beugte sich Franzibian in seiner Hütte am Dorfrand über Lydia. Er war der Heiler und Kräuterkundige des Dorfes und half so gut es ging. Natürlich konnte er keinen Geweihten ersetzen, aber über Krankheiten und Wunden hatte er in seinem langen Leben viel Erfahrung gesammelt. Corridon hielt die Hand seiner Tochter, während Franzibian sie sorgfältig untersuchte. Die belebende Arznei hatte keine Wirkung gezeigt. Ihre Zunge war geschwollen, sie hatte viel Blut gespuckt, die Muskulatur war extrem angespannt. Noch während der Untersuchung rutschte Lydias Hand aus der ihres Vaters. Der Körper wurde schlaff, die Augen stumpf. Der Heiler schüttelte traurig den Kopf und schloss ihre Augen. „Corridon, es tut mir unheimlich leid. Der Tod hat diese junge, fröhliche Seele zu sich genommen. Der Wille der Götter ist manchmal seltsam.“ Corridon sagte kein Wort. Seine Kehle war zugeschnürt. „Wie? Warum?“, schoss es durch seinen Kopf. Franzibian ahnte, was der Bauer dachte. „Sie wurde vergiftet, mein alter Freund, daran besteht kein Zweifel.“ Der Heiler seufzte. Er blickte auf Lydia, hörte in seinem Inneren ihr ansteckendes Lachen. Eine Träne lief seine faltige, alte Wange hinab. „Ich habe keine Ahnung wie, aber ich werde herausfinden, welches Gift dahinter steckt. Es tut mir so unendlich leid Corridon“. Die Worte verhallten ungehört in der Luft. Der Bauer starrte ungläubig auf seine tote Tochter.

 1.Eintrag

Träge hob er seinen mächtigen Kopf. Stimmen waren in der Ferne zu hören. Seine Muskulatur spannte sich an. Seine Augen starrten den Weg entlang. Das waren Fremde, die über die Kuppe kamen. Zwei schlanke lange und zwei kleine runde Wesen. Seine Ohren spielten. Neben dem Weg lief noch ein Mensch. Er schnaubte, wurde unruhig und starrte weiter auf die Wanderer.

"Wir hätten an der letzten Kreuzung doch links abbiegen sollen", knurrte eine tiefe rauhe Stimme. "Wir wären nach Baliho gekommen, werter Brandur. Und so wie ich Charie und Seylina kenne, mögen sie größere Städte nicht." Brandur Eisenhieb, ein stattlicher Zwerg aus dem Amboß, drehte seinen Kopf und blickte kurz die Waldläuferin an. "Ich mag dafür keine Drachen und dieser Trampelpfad bringt uns immer dichter an die Gebirgsausläufer der schwarzen Sichel." Nijura betrachtet den Zwerg, dessen kleine, grüne Äugelein misstrauisch den Waldrand absuchten. Die Waldläuferin lächelte. Brandur war ein guter Kamerad mit dem Herzen am rechten Fleck. Anfangs hatte seine laute und direkte Art sie gestört. Das Klirren seiner Kettenrüstung, das Scheppern seines riesigen Schildes und das laute Stampfen. Aber in den letzten Wochen gemeinsamen Reisens hatten seine Kriegsaxt, sein Wortwitz und sein Mut ihnen allen geholfen. Der Waldläuferin war allerdings bis heute nicht klar, wie der kleine Zwerg das ganze Gewicht schleppen und bei dem gewaltigen geflochtenem, roten Bart und dem ungebändigten Meer an roten Haaren sehen konnte, wohin er lief. Irgendwie klappte es. Nijura fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Boradin Weißbart, der schweigend neben Brandur lief, war anders. Sein Äußeres war ausgesprochen gepflegt, besonders die weißen langen Haare und der Bart, die beide durch etliche Silberringe streng geflochten, ihm nie im Weg hingen. Dann diese merkwürdige silbern schimmernde Plattenrüstung, die viel schwerer sein mußte als das Kettenzeug Brandurs, er sie aber mit einer Leichtigkeit trug, die ihr manchmal unheimlich vorkam. Und dazu dieser riesige Hammer und die sperrigen Äxte. Beide Zwerge waren Kämpfer, Brandur ein wenig hitziger und ungeduldig, Boradin ruhiger, auf den passenden Augenblick wartend. "Zwerge waren ein komisches Volk", dachte sie grade, als sie Seylinas leisen Ruf hörte. Die Zwerge stapften weiter. "Elfen sind ebenfalls seltsam", schoß es ihr durch den Kopf, "und das gleiche werden Zwerge und Elfen von uns Menschen denken!"

Die drei schlossen zu den beiden Elfinnen auf, die sich in ihrer Sprache leise unterhielten. Boradin erkundigte sich, warum sie stehen geblieben seien. Brandur blickte wieder Richtung Baumwipfel. Charie antwortet mit einer Stimme, melodisch wie die Töne einer Harfe: "Dort vorne steht ein ... mundo". "Ein was?", donnerte Brandur. Seylina blickte auf den Zwerg hinunter. Ihr klang erinnert Nijura an einen singenden Vogel. "Wir kennen das Wort für dieses Tier in der Gemeinsprache nicht. Es ist eine männliche Kuh." Boradin half mit seinem tiefen, ruhigen Baß sofort aus: "Ein Stier! Der sollte kein Problem darstellen"! Charie neigte den Kopf leicht zur Seite. "Dieser St..tie..r" wiederholte sie, ist im Moment äußerst nervös und aggressiv. Ich würde einen Bogen vorschlagen." Die Waldläuferin kniff die Augen zusammen. Auf dem Pfad sah sie ein Rind. Aber wie wollten sie auf diese Entfernung seine Laune erkennen. Diese Elfen – erstaunlich. "Ich sehe gar nichts", meinte Brandur. Nijura verkniff sich ein Lachen. Seylina erwiderte absolut emotionslos: "Vielleicht seht ihr ihn nicht, was an Eurer Größe liege mag, aber vielleicht spürt ihr das Donnern seiner Hufe. Er kommt schnell auf uns zu. Und so weit mir bekannt ist, hassen diese Tiere die Farbe Eures Haupthaares, Zwerg Brandur." "Pah" war der einzige Kommentar des Zwerges.

 2.Eintrag

Seine Hufe zersplitterten die trockene Erde. Er raste auf die Fremden zu, sein Zorn war so groß wie sein Schmerz. Der fremdartige Geruch steigerte seine Wut. Er beäugte sein Ziel. Seine langen geschwungenen Hörner senkten sich. Der mächtige schwarze Bulle schoß auf die Gruppe zu.

Beide Elfen blickten auf Brandur. Er schien seinen kurzen verächtlichen Ausruf in die Tat umsetzen zu wollen. Der stämmige Zwerg wuchtete seinen großen Schild zwischen sich und den heran preschenden Stier. Seine große Faust umschloß den Schildriemen, seine kräftigen Muskeln spannten sich an, sein linkes Bein suchte einen festen Halt und sein Körper stemmte sich gegen den Schild für den bevorstehenden Aufprall. „Ich werde keinem Kampf aus dem Weg gehen, schon überhaupt gar nicht gegen einen dummen Stier“, brummelte er vor sich hin. „Boradin, was ist mir Euch, die Elfen scheinen ja stark beeindruckt von dem Vieh zu sein. Frau Seylina, Ihr könnt in der Zeit Feuerholz sammeln, das gibt einen guten Braten.“ Boradin ging die Situation blitzschnell im Kopf durch: Der Aufprall würde seinen Kampfgefährten sicher nach hinten schleudern, aber den Stier bremsen. In Schlagweite eine Chance zur Seite zu hechten, eine geschickte Rolle und mit der Axt den Stier zu Fall bringen. Einmal am Boden wäre er eine leichte Beute. Der Zwerg nickte Brandur zu, packte seine beiden Äxte und stellte sich neben ihn.

Nijura fuhr sich kurz über die Wange als sie die Zwerge kampfbereit wie ein Bollwerk sah. Selbst wenn die beiden es schaffen würden, was offen war, der Bauer würde alles andere als erfreut über den Verlust seines Stieres sein. Sie setzte zu einer Warnung an, brach ab und seufzte. Wenn sie eines in den letzten Wochen gelernt hatte, dann niemals zwei kampfbereite Zwerge von deren Vorhaben abbringen. Langsam wich sie nach hinten und überlegte in Gedanken, wieviel so ein Stier kosten könnte. Gleichzeitig griff sie an ihren kleinen Beutel mit den Heilkräutern.

Seylina zweifelte beim Vergleich der Körpermaße, dass die Zwerge ohne Blessuren oder Schlimmeren davonkommen würden. Sie war sich im Unklaren, ob sie die Absicht der Zwerge dort stehen zu bleiben als mutig oder wahnsinnig definieren sollte. Dieses Volk war merkwürdig anders. Wieso Brandur von Feuerholz sprach, blieb ihrer Logik verschossen, jedoch würde sich nicht tatenlos zusehen. Ihre geschwungenen, blassen Lippen formten Worte der elfischen Magie. Sie würde das Tier blenden. Jedes Tier, welches die Sicht verlor, würde stehen bleiben, aus Instinkt, seiner eigenen Sicherheit wegen.

Während die anderen die kurze Zeitspanne nutzen, sich vorzubereiten, blickte Charie das angreifende Tier an. Sie spürte Wut. Sie spürte Schmerz. Großen körperlichen Schmerz. Ihre braunen Augen verengten sich. Der Schmerz sprang beinahe auf sie über. Was war mit dem Tier los? Was war mit ihr los? Seit der Begegnung mit diesem seltsamen Gaukler Thao Pan hatte sie immer wieder diese Sinne erweiternden Wahrnehmungen, die weit über die Fähigkeiten ihrer elfischen Abstammung hinausgingen. Sie mußte dem Schmerz ein Ende bereiten. In raschen, fließenden Bewegungen holte sie den mit feinen Elfenschnitzereien verzierten schwarzen Bogen aus seiner speziellen Halterung, hakte die Sehne ein, hatte plötzlich wie aus dem Nichts einen Pfeil in der Hand und spannten den Bogen. Die Waldläuferin staunte, wie schnell all dies geschah. Es war beinahe wie ein Tanz der Elfe und bevor sie ein zweites Mal hinschauen konnte, zielte Charie auf den Bullen. In Schußweite löste sich der Pfeil von der Sehne.

Schmerz! Wut! Schmerz! Nichts anderes beherrschte den mächtigen Körper. Trieb ihn voran. Ein Stechen im Nacken. Der Schmerz verstärkte sich. Brannte wie Feuer in seinem Hals und seinen Eingeweiden. Wut! Seine Hufe schleuderten Steine zu Seite. Mit einem Mal umfing ihn Dunkelheit. Er verlor sein Ziel aus den Augen. Schmerz! Wut! Der Geruch lenkte ihn. Sie waren da. Sie waren der Grund für Alles. Ohne Zögern beschleunigte der Stier und setzte zum Stoß an.

Seylina sprang zur Seite ins Gras. Der imposante Schädel des Stiers traf auf das metallene Schild. Brandur flog vom heftigen Aufprall mehrere Schritte nach hinten und landete schmerzhaft auf dem Rücken. Das Schild, von der Wucht war der Riemen gerissen, flog an ihm vorbei. Er hörte das Schnauben des Stieres. Charie legte seitlich des Tieres einen zweiten Pfeil ein. Boradin drückte sich ab, sprang wie geplant zur Seite, rollte auf die Füße, seine Axt schwingend und glitt auf einem verteufelt glatten, glänzenden Stein aus. Die Axt ritzte die Seite des Stieres, der brüllend in sich zusammen brach. Seine Balance findend blickte der Zwerg auf das Tier. Nicht perfekt, aber der Zweck war erfüllt.

Nijura eilte zu Brandur, der sich laut schimpfend und fluchend aufrappelte. „Hab ich ihm den Schädel eingedrückt!“ rief er kraftvoll, verzog darauf das Gesicht und spürte den stechenden Schmerz in seinem Schildarm. Nichts was ihn erschüttert würde. „Wo ist dieser vermaledeite Schild?“ Brandur stapfte los, ihn zu holen. Nijura fragte nach seinem Befinden. „Alles bestens, ein blauer Fleck am Arm und der Rippe. Lächerlich.“ Die Waldläuferin eilte neben Brandur und packte den Arm. Brandur grollte: „Bei den Göttern, wollt ihr mir den ausreißen?“ Nijura lächelte, legte aber einen entsprechenden Nachdruck in ihre Stimme. „Das könnte ich, da ihr, wenn ihr Euren Blick darauf richtet, Euren Knochen durch das Fleisch seht. Das sollten wir schnellstmöglich „zurechtbiegen“. Ungern gab Brandur zu, daß es höllisch schmerzte und er Nijura Recht gab. Seine Antwort ging in seinem Bart ein einem unverständlichen zwergischen Gemurmel unter.

Die beiden Elfen und Boradin standen um den zuckenden Körper des Bullen herum. Der Zwerg verzog das Gesicht. „Er lebt. Laßt mich Ende ein bereiten.“ Seylina nickte, doch Charie erhob ihre schmale Hand. „Wartet bitte ein paar Herzschläge.“ Der Zwerg senkte die erhobene Axt wieder. Charie legte ihre schlanke Hand auf die Seite des Stieres. Die Wunde war oberflächlich. Ihr Pfeil steckte drei Finger zu weit links, um den Stier ernsthaft verletzt zu haben. Sie blickte auf. „Seylina, habt Ihr Magie gewirkt, um das Tier zu töten?“ Seylina erhob ihre Augenbrauen. „Meine Blendung zeigte höchst erstaunlicher Weise keine Wirkung, obwohl sie ihn getroffen haben muß!“ Charie strich über das kurze Fell des sterbenden Tieres. „So hat niemand von uns seinen Lebensfaden durchtrennt. Trotzdem stirbt er. Boradin, erlösen wir ihn. Würdet Ihr bitte.“ Der Zwerg blickte mit Mitleid auf den Stier. Ein gezielter Hieb brach das Genick. Die Zunge sackte schlaff aus dem Maul. Charie spürte den Lebensfunken aus dem Körper entweichen. Sie hielt den Atem an. Der Schmerz blieb. Schmerz! Es kam von weit her, vom Weg. Langsam stand sie auf. Sie fröstelte. Boradin beobachtet sie. „Wann gehen wir weiter?“ fragte er. Sie direkt auf ihre Veränderung anzusprechen, empfand er als unhöflich. Charies Augen trafen die seinen, schienen mehr durch ihn hindurch zu sehen und ihre Stimme klang zart: „Ich möchte Euch bitten, Euch um Brandur zu kümmern, während ich und Seylina den Weg hinunter gehen.“ Boradin kniff seine Augen zusammen, die Frage stand auf sein Gesicht gezeichnet. „Euer Mut und Eure Kraft schätze ich an meiner Seite. Aber im Gegensatz zu uns, besitzt Ihr keine Immunität gegen Krankheiten. Charie deutete auf die Zunge des Bullen. Sie war häßlich blaugrün verfärbt und grünliches Blut lief aus seinen Nüstern. Boradin streckte sich, rang mit seiner Ehre und seiner natürlichen zwergischen Angst vor Krankheiten, bis er antwortete: „Ihr ruft, sobald ihr Hilfe braucht!“ Charie versprach es

Während Boradin seine Axt im Gras abwischte und den beiden anderen von Charies Vorhaben berichtete, liefen die Elfen rasch den kleinen Hang hinab. Einige Minuten später tauchte auf der linken Seite zwischen den Feldern ein kleiner Hof auf. Ein trockener, etwa 400 Schritte langer Lehmweg, führte zu zwei Häusern. Dünner Rauch stieg aus dem Kamin. Vor der Tür des Bauernhauses stand ein Pferdekarren. Auf den ersten Blick ein Hof, wie alle die anderen, welche sie die letzten Tage passiert hatten. Würde das Zugpferd vor dem Karren nicht auf der Seite liegen.

 3.Eintrag

Nijura kümmerte sich um Brandurs Arm, der maulend und fluchend über den dusseligen Stier und dieses Mißgeschick auf dem Boden saß. Sein anfänglicher Widerstand gegen ihre Hilfe war durch den Schmerz gebrochen worden. Der Arm sah wirklich übel aus: Der Unterrock war mit dem Fleisch und Blut verklebt, dazu der Straßenstaub in der Wunde. Nijura war keine Kräuterfrau oder Heilerin, aber jeder, der lieber die Straße mied und seine Wege querfeldein suchte, lernte mit Verletzungen umzugehen. Nijura gehörte eindeutig zu dieser Sorte Reisender. Ihre Kleidung, ein dunkelgrünes Hemd unter einer dunkelbraunen Ledertunika, eine im Farbton passende braune Hose, hohe Lederstiefel und ein grüner, dicker Umhang aus Wollstoff zeigten starke Spuren der Abnutzung. Ihre langen dunkelbraunen Haare waren zu einem Zopf im Nacken geflochten und wurden von einem Stirnband aus dem Gesicht gehalten, jedoch weigerten sich immer einige Haarsträhnen und gingen ihren eigenen Weg. Ihre schlanke Erscheinung täuschte über ihren sehnigen, sportlichen Körperbau hinweg. Am Gürtel waren ein paar kleine Beutel festgebunden, rechts und links zwei Dolchscheiden befestigt: Ein kleiner Dolch für die alltäglichen Dinge und ein Langdolch der zum Kampf angefertigt worden war. Ein Langbogen hing quer über ihren Rücken und wurde durch einen Köcher mit Pfeilen ergänzt. Alles praktisch und sinnvoll, nicht ungepflegt, aber auch nicht auffällig.

Während Brandur den Ärmel seines Kettenhemdes nach oben gezogen hielt, säuberte die Waldläuferin die Wunde, schickte Boradin einen passenden Ast für eine Armschiene suchen und hielt Brandur ein paar Kräuter unter die Nase. Der Zwerg schien ihr auf einmal trübselig geworden zu sein, als ob diese „Niederlage“ seinem Kriegerherz einen kleinen Stoß versetzt hätte. Die Frau lächelte in sich hinein. Er würde sicher auch mitten auf dem Weg stehen bleiben, wenn ein Drache käme. Dabei war von Anfang an klar, daß sich der Schwung eines ausgewachsenen großen Bullen niemals mit einem Schild und noch so viel Kraft eines Zwerges hätte aufhalten lassen. Brandur blickte skeptisch auf das grüne Moos unter seiner Nase und runzelte die Stirn. Was sollte er jetzt damit? Rauchen? Essen? Soll sie es auf die Wunde packen und fertig. Nijura murmelte „Essen“ und ging ihren Gedanken nach: So stur der Zwerg war, nicht auszuweichen, der Stier hätte ihn hinter dem Schild, hinter einem deutlich sichtbaren Hindernis normalerweise nie angegriffen. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu dem toten Tier. Boradin tauchte neben ihr auf. „Was haltet Ihr von dem wild gewordenen Bullen. Das Tier hat eine gefärbte Zunge und grünes Blut", er strich sich durch den Bart, "wie Orks." Seine Hand fuhr abermals durch den Bart und rückte einen der Ringe dort leicht zurecht. "Wie geht es mit dem Verbinden vonstatten? Wird die Wunde gut verheilen?" Er blickte auf den Schildarm Brandurs und verzog kein Bißchen das Gesicht. Er hatte üblere Wunden gesehen. "Nichts, was ein gutes Starkbier nicht heilen könnte." Er grinst, so daß seine Bartringe aneinander Schlugen, zog einen Trinkschlauch hervor und reichte ihn Brandur "Nimm ein paar Schluck, mein Zwergenbruder." Brandur schielte einen Herzschlag auf das Moos und griff schnell zum Schlauch. Nach einigen beherzten Schlucken, tat der Arm kaum weniger weh, aber seiner Stimmung ging es viel, viel besser. „Spricht für einen Sauerstoffmangel, oder eine Vergiftung oder beides“, gab Nijura von sich. Brandurs Augen weiteten sich und er gönnte sich mehr Bier. Das Vieh war zwar tot – aber die üble Krankheit immer noch da. Der Geruch von Alkohol stieg in die Nase der Frau. „Ah – sehr gut“, brummte der Zwerg. Nijura griff den Schlauch, den der Zwerg verbissen festhielt und sie zerrten hin und her. „Wie Du willst Brandur, dann renken wir den Arm jetzt so ein.“ Den Trinkschlauch fest umklammert, hielt Boradin seinen Weggefährten fest, während Nijura mit einem Ruck den Knochen zurück an seine richtige Stelle brachte. „Jetzt nehmt einen Schluck, schüttet etwas über die Wunde und schient den Arm, bis wir in einem Dorf sind.“ Nijura klang leicht genervt, stand auf und widmete sich dem Stier.

Charies Pfeil steckte im Nacken. Die Axt Boradins hatte eine Schnittwunde hinterlassen, aus dem immer noch Blut lief. Dieses Blut war seltsam dick und hatte eine ungesunde rotgrüne Farbe. Der Bauch des Tieres schien geschwollen. Die Augen waren leicht aus ihren Höhlen herausgetreten und voller roter Adern. Das grünliche Blut aus der Nase war zäh und klebrig. Die Zunge deutlich angeschwollen und blaugrün verfärbt. Bis auf das gebrochene Genick, zeigte das Tier keine anderen Verletzungen. Nijura war unsicher, aber sie vermutete, das Tier hatte sich vergiftet und starke Schmerzen gehabt. Eine Erklärung für das unnatürliche Verhalten?

Zu dritt wurde Brandurs Arm fertig versorgt, die Sachen aufgesammelt und als Brandur auf seinen Füßen stand, brach man einstimmig auf, den Elfen zu folgen. Alle machten sich Gedanken, welche anderen verrückt gewordenen Tiere oder Kreaturen in der Gegend sein könnten.

 4.Eintrag

Die beiden Elfinnen näherten sich sehr vorsichtig den Gebäuden. Seylina betrachtete die Elfe neben sich. Sie wußte das Charie etwas gespürt hatte. Obwohl Charie den Weg der Magie ihres Volkes kaum folgte, hatte sie offenbar eine spezielle Begabung die Stimmungen der Natur aufzunehmen. "Irgend etwas stimmt hier ganz und gar nicht", sagte Seylina ohne Charie direkt anzusprechen. Charie nickte unmerklich. "Ich habe bisher von keiner Krankheit erfahren, die das Blut grün werden läßt und ebenso hat sich der Stier rasend verhalten, als sei er besessen. Wir sollten herausfinden, ob sich das nur auf ein kleines Gebiet beschränkt oder ob es in der ganzen Gegend hier Vorfälle gibt." Wieder nickte Charie und deutete stumm auf den Hof, der knapp 100 Schritte vor ihnen lag. Das Haupthaus war etwas 20 Schritt von der großen Stallung entfernt. Aus keinem der Gebäude waren Geräusche zu hören. Es war merkwürdig still. Ohne den Rauch und das Pferd, hätte man den Hof für verlassen halten können. „Sollen wir uns aufteilen und zuerst die Umgebung erkunden?“, fragte Charie leise. „Du zum Wohngebäude, ich zum Stall?“. Seylina spürte, wie Charie bereits zum linken Gebäude wich.

Die Waldelfe schaute zum Pferd, welches kurz vor der Tür des Hauses reglose auf der Seite lag. Ein großer dunkler Fleck hatte sich um den Kopf des Tieres gebildet. „Ob nur Tiere von der Krankheit befallen werden, oder auch Menschen?“, schoß es der Elfin durch den Kopf. Fließend zog sie ihr Schwert. Das Pferd war seit einigen Tagen tot. Seylina konnte keine Anzeichen einer Krankheit feststellen. Jemand hatte das Tier mit einem gezielten Stich getötet. Das getrocknete Blut war dunkelbraun. Fliegen schwirrten um das Maul des Tieres. Er roch leicht nach Verwesung. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihr, wie Charie grade um die Scheune herum verschwand. Der Wagen war ein kleiner Karren, der für einfache leichte Lasten oder kurze Reisen verwendet wurde. Die Bremse war angezogen. Er war leer. Die Fenster waren mit Holzläden verschlossen. Blieb die Tür. Mit der einen Hand umschloß sie den Griff ihrer Elfenklinge fester. Für einen Augenblick kamen Erinnerungen daran, wie sie dieses Schwert gefunden hatte. Sie verscheuchte die Gedanken. Nicht jetzt. Die Tür war angelehnt. Seylina hob die Hand und klopfte. Knarrend schwang die Tür ein Stück auf. Ein kleiner Schatten huschte aufgeschreckt im Inneren davon.

Charie schlich vorsichtig um das Gebäude und beobachtete die Gegend. Die Felder waren leer. Kein Vieh stand auf der Weide, keine Pferde in dem Gatter hinter dem Hof. Eine kleine Holztür am Ende des Stalls hatte ein Gitterfenster. Achtsam schlich Charie näher und spähte seitlich hinein. Rechter Hand lagen einige Strohballen sauber zusammengebunden. Darüber gab es einen Verschlag für Hühner. Ein paar Federn lagen am Boden. Es gab keine Tiere. Linker Hand waren Sattelzeug und Wagengestänge zu sehen, etwas Handwerkszeug und ein kleiner Pflug. Die zwei Boxen für Pferde standen offen und waren leer. Der hintere Teil blieb Charies Blick verborgen. Vermutlich war dies der Platz für die Lagerung von einfachen Vorräten. Charies Hand prüfte die Tür. Sie war unverschlossen. Der Stall machte auf die Elfe nicht den Eindruck von Unordnung. Er war leerer als erwartet, als hätte man ihn ausgeräumt. Charie schlich um das Gebäude weiter und kam zwischen den Stall und das Haupthaus. Ein kleiner gemauerter Brunnen tauchte auf. Eine Eisenstange lief quer, ein Strick daran gebunden, dessen Ende an einem Eimer befestigt war, der auf dem Rand des Brunnens stand. Am Fuße der Brunnenmauer bewegte sich ein Tier: Eine dicke fette Kröte. Ihre gelben Augen starrten Charie an. Es war eine der braunen Feldkröten, die ein unangenehmes Sekret in ihren Warzen hatte und manche abergläubischen Menschen sie als Hexenkröten bezeichneten. Das Tier pumpte mit seinen Backen und drehte sich leicht.

 5.Eintrag

Boradin, Brandur und Nijura waren grade fünf Minuten unterwegs, als in der Ferne ein Schrei zu hören war. Jemand hatte in Todesangst um Hilfe gerufen. Die drei lauschten. Stille. Ein aufgeschreckter Schwarm Blaufinken flatterte aus dem Wald, sammelte sich zum Schwarm und landete auf dem Feld. „Bei meinem Bart, wo kam der jetzt her?“ rief Brandur. Jeder zeigte darauf hin in leicht unterschiedliche Richtungen, aber alle zum Wald.

Der Wald war einige hundert Schritt entfernt und es drohte keine unmittelbare Gefahr. Jede Kreatur, die aus den Bäumen hervorbrechen würde, käme sofort in das Blickfeld der drei Wanderer. Nijura eilte sofort quer über das Gras auf den Wald zu, von wo sie die Herkunft des Schreies vermutete. Im Laufen griff sie zu ihrem Bogen. Am Waldrand angekommen verbarg sie sich rasch hinter einem Baum. Sie lauschte. Kein weiteres Rufen, kein verdächtiges Geräusch war zu hören. Vorsichtig pirschte die Waldläuferin von Baum zu Baum am Waldsaum entlang. Die ersten Blicke in den Wald zeigten einen für diese Gegend normalen Mischwald. Die Bäume waren mittel groß, das Unterholz dicht und der Boden bedeckt von trockenen Nadeln, Blättern, Moosen und Waldblümchen. Nijura schaute rasch über ihre Schulter. Was taten die Zwerge? Im Moment standen sie da auf dem Weg sichtbar wie Glühwürmchen in der Nacht.

Als Brandur den Schrei aus dem Wald hörte, mußte er an einen Ausflug mit seinem Großvater Tumborg, einem Schmiedemeister der seines Gleichen suchte, denken. Als kleiner Zwerg war er mit seinem Großvater immer zu einem geheimen Stolleneingang gegangen, wo er im Schmieden und Schürfen unterrichtet worden war. Dieser Eingang hatte tief im Wald gelegen. Sein Großvater hatte ihm somit die Angst vor Bäumen, die ihm die Sicht versperrten genommen und er hatte gelernt, sofern es seine Größe zuließ, sich grob im Wald zu orientieren. Eines Tages hatten er und sein Großvater einen entsetzlichen Schrei gehört, nicht weit entfernt vom Stolleneingang. Sofort waren sie sie dem Schrei nachgeeilt und hatten ein kleines Menschenkind gefunden, welches sich vor einem ziemlich aufdringlichen, doch friedlichen Waldwildschwein gefürchtet hatte. Nach dem üppigen Mal am Lagerfeuer, hatten sie das Menschenkind zum Dorf zurück gebracht. Gerade in dem Moment, als Brandur aus seinen Erinnerungen zurückkehrte und vorschlagen wollte, mal nachzusehen, kommentierte Boradin trocken: “Typisch Menschen! Sie denken keine Sekunde nach, einfach loslaufen. Und wenn sie von einem Bär oder Drachen gefressen wird, sind wir schuld. Laß uns ihr folgen, Zwergenbruder!“ Brandur hob die Hand: „Wir sollten den Elfen Bescheid geben. Ohne Nachricht im Wald verschwinden sorgt für weitere Schwierigkeiten.“ Boradin nickte, ritzte mit seiner Waffe einen großen, unübersehbaren Pfeil auf den Trampelpfad und klopfte Brandur auf die Schulter: “So, wenn die Elfen uns jetzt nicht finden, dann sind es keine Elfen!“. Brandur sparte sich eine Erwiderung, da Boradin bereits gemächlichen Schrittes zum Wald ging. Nach einem letzten Blick die Kuppe hinunter Richtung Gehöft und den Elfen, zuckte er mit den Schultern, seufzte und marschierte seinem Kollegen hinterher.

Nijura winkte sie zu sich heran. Sollte sie jemand beobachtet haben, hatte er die Zwerge auf jeden Fall bemerkt. Trotzdem ermahnte sie die Zwerge sich versteckt und leise zu verhalten. Spätestens nach dem zweiten Klimpern und Scheppern von Rüstungsteilen, gab sie es auf. Spuren waren keine zu erkennen. Ihr stieg kein Geruch eines großen Raubtieres in die Nase. Zu dritt drangen sie tiefer in den Wald. Die Vögel begannen wieder zu singen, die Geräusche im Wald nahmen zu. Die Gefahr schien gebannt. Boradin hob die Axt, als ein kleiner Hase aus einem hohlen Baumstamm zwischen seine Beine hoppelnd vor den Eindringlingen flüchtete. Brandur grinste: “Keine Sorge, der wird uns kaum fressen.“ Boradin überhörte diese Bemerkung. Nijura blieb mit ihrem Blick an einer seltsamen lila Blütenpracht hängen. Die Blume war ihr vollkommen fremd: Dicke Blätter, ein kräftiger Stiel und mehrere üppige lila bis violette Blüten, die einen süßlichen Duft verströmten. Der Farn zwei Schritt neben ihr war viel feingliedriger, dafür dichter im Wuchs, als die übrigen. Der Boden vor ihnen war mit frischem, dichtem Waldmoos bedeckt, welches die Bäume hinauf wuchs. Der Wald veränderte sich. Er wurde dunkler, dicht zugewachsen mit kräftigen Farnen, Moosen und Bodenbedeckern. Mehr und mehr kleine und große Blumen schmückten den Boden und Pilze standen in voller Pracht. Brandur bemerkte: “Sieht aus, als ob jemand die Stelle hier besonders pflegt und regelmäßig gießt. Zumindest stehe ich bei jedem Schritt in einer kleinen Pfütze.“ Die Frau stieß einen kleinen Pfiff aus: „Bleibt wo ihr seid. Keinen Schritt weiter.“ Es wäre ihr beinahe nicht aufgefallen. Die grüne, freie Fläche direkt vor ihnen war keine Waldlichtung unter dichten Baumkronen, sondern ein Tümpel. Vollkommen mit grünem Wuchs bedeckt, Blumen in seiner Mitte und quer liegenden Bäumen machten ihn selbst für das erfahrene Auge beinahe unsichtbar. Nijura musterte den Verlauf des Tümpels. Er schien sich hinten zu verjüngen und führte als schmale Spur weiter in den Wald. Die exakten Ausmaße blieben ihren geübten Augen verborgen.

Brandur zeigte auf eine Stelle: „Schaut, für mich sieht das da aus wie ein Hut?“ Nijura nickte: „Laßt ihn uns raus fischen.“ Boradin hieb mit einem kräftigen Schwinger seiner Axt einen langen Ast von einem alten umgestürzten Baum und reichte ihn Nijura. Sie ging, mit jedem Schritt den Boden prüfend, näher heran. Der Boden hielt bis ihr Fuß unvermittelt in tiefem Wasser versank. Kein weicher werden des Bodens, kein langsames Absinken des Ufers in den Tümpel, eine relativ abrupte Kante – wie tückisch. Mit Geschick stocherte sie nach dem Hut. Er schwamm grade in Reichweite des langen Stocks. Die ersten zwei Versuche scheiterten. Beim dritten kam sie unter den Hut und zog. Brandur sah, wie die Waldläuferin plötzlich den Stock ins trübe Wasser schmiß und dieser zusammen mit dem Hut verschwand. „Na toll, weg ist er.“ Nijura blickte die Zwerge entgeistert an: „Da hat etwas den Stock gepackt und mit Kraft daran gezogen! Ich wäre beinahe mitgerissen worden!“ Diesmal stießen beide Zwerge ein überraschtes Zischen aus. Wasser war für Zwerge ein verhaßtes Element. Erst Recht, wenn man weder den Grund sehen konnte und darin etwas schwamm. Mit einem blubbernden Geräusch tauchte der Hut erneut an der Oberfläche auf.

 6.Eintrag

Die beiden Elfen Charie und Seylina bekamen von den Geschehnissen im Wald nichts mit. Seylina lauschte angespannt. Sie hörte deutlich das hektische Atmen eines größeren Wesens. Vielleicht war ein Wimmern dabei. Um mehr zu sehen, hätte sie den Kopf durch den Türrahmen stecken müssen – im Augenblick zu gefährlich. Geräuschlos zog sie sich zurück. Sie umrundete das Haupthaus. Alle Fensterläden waren zu, Fenster mit Brettern vernagelt, eine Hintertür, die zu einem Gemüsebeet und einer Abfallgrube führte, war verschlossen. Schnelle Blicke durch einige Ritzen zeigten fast leere Räume mit wenigen Einrichtungsgegenständen. In dem Dämmerlicht blieben Ecken und Winkel im Dunkeln. Das Gemüsebeet war abgeerntet und die ersten Wildgewächse genossen die gute Erde. In der Abfallgrube fanden sich der übliche Unrat, ein paar morsche Bretter, alte Überreste von zwei verbrannten Schweinekadavern und ein totes vermoderndes Huhn. Auf der rechten Seite des Gebäudes, die zu den Stallungen gewandt war, sah die Elfin eine große Tür, über der ein eisernes Rad an einem Metallgestell befestigt war. Ein Seil war an einem Haken neben der Tür angebunden, lief über die Rolle und hing drei Schritt über dem Boden. Charie stand in der Nähe des Stalls an einem Brunnen. Seylina wollte zuerst erfahren, was die Auelfe herausgefunden hatte.

Charie indessen, betrachtete eingehend die Kröte. Diese zeigte keine Anzeichen von Furcht. Es war ein schönes, prächtiges Exemplar und offensichtlich vollkommen gesund. Charie näherte sich langsam. Die Kröte blickte in ihre Richtung, pumpte ihre Backen auf und ließ ein knarrendes Quaken vernehmen. Die Elfin verspürte keine Lust mit dem brennenden Sekret der Drüsen Bekanntschaft zu machen. Sie hob einen Stein auf und war ihn knapp oberhalb der Kröte an den Brunnen. Das Tier zuckte zusammen, verharrte in Starre und hüpfte ein paar Herzschläge später mit großen Sprüngen zum Feld. Charie widmete ihre Aufmerksamkeit dem Brunnen. Er war in gutem Zustand. Im Eimer befand sich kein Wasser. Zu Charies Überraschung lag einer roter Stein drinnen. Er war Faust groß und ohne Zweifel mit roter Farbe angemalt. Charie dachte nach: „Um jemanden zu vergiften, was der angenommene Todesgrund des Stieres war, hätte man das Gift in die Nahrungsmittel oder das Wasser geben können. Wenn das Wasser vergiftet worden wäre, wären sämtliche Tiere und Menschen davon betroffen, die das Wasser zu sich genommen hätten. Und um das Wasser zu vergiften würde sich der Brunnen anbieten.“ Die Kröte zeigte keine Vergiftungserscheinungen, doch als Feldbewohner war sie auf Wasser nur geringfügig angewiesen und ihre eigenen giftigen Fähigkeiten machten sie möglicherweise immun. Charie blickte in den Brunnenschacht. Es glitzerte. Rasch hob sie einen kleinen Stein vom Boden und warf ihn hinunter. Sie hörte ein eindeutiges Platschen. Charie schöpfte Wasser und stellte den vollen Eimer auf den Brunnenrand. Seylina gesellte sich hinzu. Gemeinsam inspizierten sie das Wasser. Für Elfennasen ein wenig abgestanden und erdig, aber kein Geruch eines bekannten Giftes. Von einer Kostprobe sahen beide ab. Charie füllte eine kleine Ersatzfeldflasche mit dem Wasser für eine spätere, bessere Analyse. Der rote bemalte Stein hatte für Seylina keine bekannte Bedeutung. Charie hob ihn auf. Vielleicht wußte Nijura oder einer der Zwerge mehr.

Die Waldelfin berichtete Charie von dem Pferd und dem Wesen im Haupthaus. Charie erzählte vom Stall und Seylina wunderte sich über die Leere, genauso wie sie es im Haus gesehen hatte. Beide entschlossen sich zuerst den Stall von innen zu betrachten. Nach kurzer Untersuchung war klar: Die Stallungen waren sorgfältig geräumt und geputzt worden. Es gab keine wertvollen Gegenstände mehr im Stall, Zaumzeug, Sattel, teure Geräte fehlten. Die Pferdeboxen waren sauber, ohne Stroh und Pferdeäpfel. Die Hühnerbox bis auf ein paar Federn leer. Die zurückgelassenen Geräte, Beutel und Fässer waren ordentlich aufgeräumt und gestapelt. Tote Tier gab es weder im Stall noch in Sichtweite auf den Feldern und Weiden.

 7.Eintrag

Die kleine Taverne im Dorf war wie ausgestorben. Keiner der fünf großen Tische, denen man ihr Alter durch unzählige Flecke, Risse und Dellen ansah, war besetzt. Die kleine Theke aus runden Bierfässern, über denen eine große Eichenplatte lag, war leer: Kein Krug, keine kleine Speise für einen schnellen Gast, kein Lappen. Dahinter stapelte sich eine Reihe Fässer und ein Regal mit allen mögliche Flaschen, Gewürzen und getrocknetem Fleisch. Normaler Weise stand der Wirt dort und schenkte aus, während seine Frau die gute warme Kost aus der Küche brachte. An der Tür zur Küche baumelte ein hölzernes Schild mit der Inschrift: „Heute keine warmen Speisen.“ Sonst war der Kamin an und schenkte den Gästen und ihren von der Arbeit auf dem Feld steif gewordenen Gliedern am Abend Wärme und Entspannung. Aber das Holz war runtergebrannt, die Asche feucht und die Steine kalt. Die getrockneten Blumen auf den Wandsims, die dekorativ gehängten Sammlerstücke des Wirtes und Mitbringsel von Wanderern erfreuten kein Auge. Eigentlich saß die Bardin Edda „Vogelsang“ um diese Zeit auf ihrem kleinen Holzschemel und erfüllte den Raum mit ihrer melodischen Stimme, mit Geschichten, Balladen und Trinkliedern. An diesem Abend, wie die vielen Abende zuvor, saß sie mit gesenktem Haupt dösend an der Wand am Boden.

Knarrend öffnete sich die Tavernen Tür ein Stück und brachte kühle Luft in den Raum. Edda hob den Kopf und schielte neugierig hinüber. Sie hörte eine Stimme: „Dunkelstern, Sonnenschein, bleibt draußen. Ich bin gleich wieder da.“ Schwere Stiefel brachten die Balken zum Knarren, die Tür öffnete sich ganz und eine Frau schritt schwungvoll hinein. Ihr Haar war rabenschwarz, ihr Gesicht scharf geschnitten doch gleichförmig und attraktiv. Sie war jung. Eine dicke Langtunika aus dunkelblauem Gewebe floss ihren muskulösen wohlgeformten Körper hinunter bis zu den Stiefel. Ein breiter, mit silbernen Nieten besetzter Ledergürtel umfaßte schmeichlerisch die Taille. Ein Geldbeutel, eine kleine Wasserflasche und ein Dolch für den täglichen Gebrauch hingen geschnürt an der rechten Seite, eine zerschlissene verstärkte Lederscheide mit einem länglichen, leicht gebogenen Schwert war links am Gürtel befestigt. Die Frau warf mit einem Ruck ihres Kopfes einige lange Strähnen des Haares aus ihrem Gesicht zurück über ihre Schulter. Sie blickte sich um. „Na so was, genauso leer wie die Straßen!“ Edda stützte sich ab und erhob sich: „Zum Gruß, werte Reisende. Es ist seit Wochen leer und wird es wohl bleiben, bis jemand den Fluch von uns nimmt.“ Edda bemerkte, daß sie einen guten Kopf größer war als die Frau, was bei ihrer imposanten Höhe von fast zwei Schritt nicht ungewöhnlich war. Die Frau warf einen kurzen Blick zu ihr hinüber, musterte weiter die Taverne und murmelte: „Schade, es muß ein netter Ort gewesen sein. Hunger und Durst werde ich hier offenbar keinen Einhalt gebieten können.“ Sie zuckte mit den Schultern und dreht sich zum gehen. Edda pendelte zwischen Erstaunen und Enttäuschung. Die meisten hätten bei dem Wort „Fluch“ zumindest irgendeine Reaktion gezeigt. Bevor sie ihrer Bardenehre Genugtuung verschaffen konnte, war die Frau bereits draußen und rief: „Hände weg vom Pferd, ihr dreckiges Pack. Das ist mein Habe und ich rate Euch Eurer Gesundheit zu liebe, das Weite zu suchen.“ Ein dreckiges Lachen und das Schnauben eines Pferdes war die Antwort. Edda eilte zur Tür.

Um einen herrschaftlichen Rappen, der unangebunden vor der Taverne stand, drängelten sich vier der Barondi Brüder und griffen nach den Packtaschen und Decken. Der Hengst machte ihnen unruhig schnaubend einige Schwierigkeiten. Während einer der Brüder sich vom Pferd abwandte und weiter kehlig lachend auf die Frau zuging, stand diese ruhig auf der kleinen Treppe vor der Taverne. Unverhohlen zog der Bursche ein Langmesser und rief: „Brüder, wir haben Glück. Eine hübsche Stute zum Spielen ist aufgetaucht.“ Die Bardin rollte mit den Augen. Der Hof der Barondi lag weit abseits und war einer der heruntergekommensten. Sie hatten immer wieder für Ärger gesorgt, doch die Stadtgemeinschaft hatte sie jedesmal in ihre Schranken verwiesen. Seit so viele weg waren, zogen die Brüder und anderes Gesindel ungehindert plündernd durch die Gegend. Die unbekannte Frau stieß einen kurzen Pfiff aus. Der Rappen bäumte sich auf, buckelte wild und warf mit einem gezielten Kopfstoß einen seiner Widersacher zu Boden. Ein mächtiger Satz über den am Boden Liegenden, dann preschte er nach Norden die kleine Straße entlang. Laut maulend wegen der verlorenen Beute richtete sich Ärger und Gier auf das neue Ziel. Edda schüttelte zornig den Kopf. Sie war keine Kämpferin, aber untätig zusehen, wie die Männer sich an der Frau vergingen, würde sie nicht. Sie packte ein Stück Feuerholz und schritt nach draußen. Jocken, der Älteste der Bande, war mit dem Messer nah an der Treppe. Der Ausdruck in seinem schmutzigen Gesicht ließ keinen Zweifel über seine Absichten. „Schnapp sie Dir“ tönte es von den anderen. „Zeig mal Haut.“ „Dunan, siehst Du den Beutel da am Gürtel.“ „Ich sehe drei Beutel, Erik, und alle lohnend. Komm schon Jocken, mach zu, wir wollen alle mal.“ Das Messer des Mannes blitzte. Edda hob das Holzstück. Zu ihrer Überraschung signalisierte die Hand der Fremden, sich rauszuhalten. „Wenn er hübsch wäre, wäre das was anderes, aber der da vorne stinkt und hat mein Pferd angefaßt.“ Edda fröstelte. Die Frau war erregt, als ob die Situation ihr gefallen würde. Gleichzeitig lag ein Haß in der Stimme, der Edda mehr Angst machte, als das Brüderpack. Die geübten Ohren einer Bardin hörten den Tod mitschwingen. Jocken sprang die wenigen Stufen nach oben, packte die Frau am Arm und hielt ihr das Messer in die Seite. Sie zuckte nicht einmal. „Keine Bewegung mein Täubchen. Wir haben auch unseren Spaß, wenn ich Dich abgestochen habe.“ „Er stinkt wirklich“, kommentierte die Frau. Die Szene, die sich dann abspielte, blieb Edda ein Leben lang lebendig vor Augen.

Die Frau drehte sich blitzartig um, ihre flache rechte Hand donnerte zielsicher unter das Kinn des Mannes, während ihre Linke gleichzeitig Jockens Hand mit dem Messer ergriff und nach oben riß. Edda hörte den Kiefer krachen. Dem Mann blieb keine Zeit für einen Schrei. Das Langmesser, nach wie vor in seiner Hand, hatte seitlich seine Kehle durchbohrt. Schlaff sackte er in sich zusammen. Die Frau sprang auf die Straße. Die drei anderen Männer stürmten aufgebracht schreiend auf sie los. Aus den Augenwinkeln erhaschte Edda eine Bewegung ganz nah rechts neben der Treppe. Sie hatte das Tier vorher übersehen. Erst jetzt, durch die Bewegung, bemerkte die Bardin den Hund. Er trabte zu der Frau. Ein weiterer Schatten löste sich von der anderen Straßenseite. Einer der Männer wurde langsamer und blieb stehen. Die anderen Brüder trieb die blanke Wut voran. Als die beiden Hunde rechts und links von der Frau standen, starrte Edda sie an: Die Tiere waren riesig, reichten der Frau bis zur Hüfte, der eine makellos weiß, kräftig, hochaufragend mit wolfsartigem Fell, der andere schwarz wie die Nacht, gedrungener, ein wenig kleiner mit dichterem Fell. Die Tiere waren schön und schaurig zugleich. Aus ihren Kehlen erscholl ein bösartiges Knurren. Der Kampf war vorüber, bevor er richtig begonnen hatte. Die beiden Tiere rassten los, sprangen, rissen die Männer zu Boden und töteten mit einem einzigen Biß. Der Schwarze hob den Kopf und schaute sich zur Frau um. Diese nickte kurz. Die Tiere hetzten dem letzten übrig gebliebenen Barondi nach. Seine Hilfeschreie endeten abrupt. Edda atmete mit rotem Kopf aus, hatte sie die ganze Zeit vor Spannung die Luft angehalten.

Die Frau bückte sich, hob etwas von der Straße auf. Edda eilte zu ihr. „Frau, wer immer ihr seid, laßt mich Euch in mein Haus einladen. Ihr sollt diesen einst so herzlichen Ort in gastlicher Erinnerung behalten und wenn dies bereits unmöglich sein sollte, dann wenigstens für den Dienst, den ihr uns geleistet habt.“ Die Frau drehte den Kopf und lächelte: „Ich lehne niemals eine Einladung ab, weder zum Kampf, noch zur Speis’. Bei der Gelegenheit könnt ihr mir mehr über diesen Fluch erzählen, denn diese Kröten“, sie blickte zu den Leichen am Boden, „werden kaum der Ursprung sein.“ Edda grinste. Also doch!

 8.Eintrag

Der Hut trieb friedlich auf der grünen Tümpeloberfläche. Das schwarze Leder war voller Algen und anderem Grünzeug, die sonst gewölbte Krempe war vom aufgesaugten Wasser flach und die kleine Feder im Hutband zerfleddert und verklebt. Der Schreck in Nijuras Gliedern wurde rasch von ihrer Neugier abgelöst. Die beiden Zwerge waren unruhig und blickten mehr als skeptisch auf das Wasser. „Es hat geblubbert!“ brummelt Boradin. „Es hat!“ antwortet Brandur. „Das war keine Frage!“ „War es nicht?“ „Nein!“ „Dann sind wir gleicher Meinung.“ „Welcher?“ „Es hat geblubbert! Nur was? Der Hut oder das Wesen im Wasser?“ Boradin setzte sich auf einen Baumstumpf und rieb sich das Kinn. Seine kleinen Bartringe klimperten. „Sie wird bestimmt weiter im Wasser stochern wollen!“ murmelte Brandur – sicherheitshalber auf zwergisch. „Dann fällt sie rein und wir müssen sie retten! Und das alles weil sie uns hierher gelockt hat.“ Boradin war in Gedanken vertieft. Nijura schaute sich die Bäume in der Nähe an: „Was hast Du gesagt, Brandur?“ „Ich, ähm, daß es am sichersten wäre, wenn Boradin ein paar große Felsen oder einen großen Baumstamm in den Tümpel werfen könnte. Sofern dort drin’ ein Ungeheuer sitzt, wird es sich zeigen.“ „Klar“, kommentierte Boradin, „und Dich stellen wir vorne an den Rand, damit es sein Abendessen bekommt.“ Brandur lachte halbherzig. „Ich kämpfe lieber von Angesicht zu Angesicht, als ein unsichtbares, hinterlistiges „Etwas“ unter meinen Füßen zu haben.“ Nijura nickte. „Da ist was dran, aber ich glaube kaum, daß Steine was ändern. Vielleicht erkennt man von oben mehr.“ Behend schwang sich die Waldläuferin auf einen dickeren Ast und kletterte den Baum weiter hinauf. Brandur schätzte, wo sie bei einem Sturz landen würde. Sein Ergebnis war eindeutig Waldboden, kein Wasser. Richtig beruhigen, tat es ihn wenig.

Während Nijura in dem dichten Blätterwerk verschwand, hob Brandur zwei größere, moosbewachsene Steine auf und warf sie ins Wasser. Laut platschend trafen sie die Oberfläche, zerrissen die Schicht der Wasserpflanzen und verschwanden mit einem schauerlich saugenden Geräusch im Tümpel. Richtig enttäuscht war er nicht, als kein schleimiges Monster aus dem unbekannten Nass kroch. Boradin sprang vom Stamm, öffnete seinen Rucksack und holte eine Fackel hervor. Das Holz knackte und zischte beim Entzünden. Mit dem Feuer näherte er sich auf jeden kleinen Schritt achtend dem Tümpel. Er schnüffelte über dem Teich, hielt die Fackel knapp über die Oberfläche und wartete auf eine zündende Reaktion. Nichts passierte. Keine brennbaren Gase, die geblubbert haben. Von oben aus dem Baum erscholl ein Ruf. Halt das Feuer weiter rein, da hat sich was im Wasser bewegt. Brandur runzelte die Stirn. Wenn Boradin mit seiner kompletten Rüstung ins Wasser plumpste, würde er untergehen wie die Steine. Schneller als die Steine, korrigierte sich der Zwerg.

Boradin hielt die Fackel wieder über das Wasser und schwenkte sie hin und her. „Weiter, ich sehe einen länglichen großen Schatten, der sich schnell bewegt. Durch den Algenteppich ist kaum was zu erkennen. Aber es scheint Angst vor dem Feuer zu haben. Mehr nach links.“ Boradin zuckte mit den Schultern. Sein Arm war so lang wie er war und keine Handbreit länger. Also warf er die Fackel in den Teich. Zu seiner Überraschung landete sie auf einem festeren Stück Pflanzenteppich und brannte weiter. Keine fünf Schritt entfernt schoß auf einmal eine kleine Wasserfontäne nach oben. Brandur riss Boradin zurück und beide vielen zu Boden. Deutlich erkannte Nijura von oben den Streifen, den ein sich schnell wegbewegender Körper unter den Algen zeichnete. Die gesamte grüne Oberfläche geriet in schwankende Bewegung. Kleine Wellen schwappten in Richtung der Zwerge.

Triumphierend kletterte Nijura nach unten. „Ich hatte Recht, es hat Angst vor Feuer.“ Beide Zwerge starrten sie erwartungsvoll an. „Und was war es?“ Nijura schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung. Es hat menschliche Größe und war unheimlich schnell. Ich habe den Schatten nur erkannt, weil er an einer dünnen Algenschicht dicht unter dem Wasser war. Könnte gut ein Fisch gewesen sein.“ Brandur stand auf und putzte seine Kleidung ab. „Ein Fisch mit langen Zähnen, der Menschen frisst!“ „Der Fisch kann harmlos sein“, warf Nijura ein. Wem immer der Hut gehört hat, er ist vielleicht in den Tümpel geraten und ertrunken. In dieser Pflanzensuppe kann man kaum schwimmen, wenn er es überhaupt konnte.“ Brandur blickte argwöhnisch auf den Tümpel. Harmlos war hier gar nichts. „Immerhin sieht man das Ufer jetzt besser und die Wellen haben den Hut an Land befördert“, brummelte er missmutig und zeigte auf einen schwarzen Fleck am Ufer. Vorsichtig ging Nijura in einem Bogen am Tümpelrand entlang auf die Kopfbedeckung zu. Dabei achtete sie auf Spuren, die der verschwundene Besitzer des Hutes hinterlassen haben könnte. Das Glück war ihr hold. Auf halber Strecke entdeckte sie Fußabdrücke, zertretene Blumen und einen abgeknickten kleinen Ast. Die Spuren führten nach Norden, wahrscheinlich parallel zur Straße. Die Person war anscheinend aus dem Dorf gekommen? Der Hut wurde geborgen und untersucht. Leider ergab sich wenig Neues. Ein normaler Lederhut, den Reisende gegen Regen und Sonne trugen. Keine Initialen. Keine Hinweise auf den Besitzer.

Boradin lag die ganze Zeit im Moos. Direkt vor seinem Gesicht stand ein dicker Pilz mit einem knolligen weißen Stängel, einer braunschwarzen saftigen Kappe und goldenen Staub auf der Oberseite. GOLDENEM STAUB!

 9.Eintrag

Nachdem die Elfen einen letzten gemeinsamen Rundgang über das Gehöft gemacht hatten, stimmten sie überein, daß die Bewohner mit dem wichtigsten Hab und Gut kurzfristig ausgezogen waren. Die offene Frage war: Warum? Der Hof war gut gepflegt, die Felder und Beete fruchtbar und es gab keine Anzeichen von Problemen. Blieben die Tiere. Charie fragte Seylina nach den verbrannten Schweinen in der Abfallgrube. Warum sollte man ihre Kadaver verbrennen und wegwerfen, wenn die Menschen das Fleisch gerne aßen und verkauften. Sie gingen noch einmal zur Abfallgrube und inspizierten sie intensiver. Beide Elfinnen stach der Geruch in die empfindlichen Nasen. Während Charie bereits ein paar Erfahrungen mit dem Unrat anderer Völker hinter sich hatte, war es für Seylina eine unverständliche Vorgehensweise, alles auf einen stinkenden, faulenden Haufen zu werfen und langsam verrotten zu lassen. Fliegen tanzten in der Luft und begrüßten die neuen Gäste mit penetranter Aufmerksamkeit. Die Kadaver der Schweine waren stark verbrannt und würden kein Geheimnis mehr preisgeben. Das Huhn hatte vor langer Zeit sein Leben ausgehaucht und den Maden, Würmern und Insekten, die es bevölkerten reichlich Nahrung gegeben. Seine Todesursache hatte die Zeit überlagert. Charie stocherte, den Brechreiz unterdrückend, mit einem langen Stock in der Grube, bis ihre Elfische Natur sie zur Aufgabe zwang.

„Ich hoffe, wir haben im Haus mehr Glück. Was immer hier passiert ist, trägt größere Bedeutung. Menschen verlassen ihre Häuser nur im Notfall. Sie sind sehr an ihr „Heim“ gebunden.“ Charie betonte das Wort „Heim“ mit dem typischen elfischen Akzent, da dieses Wort in ihrer Sprache eine andere Bedeutung hatte. Es konnte die nahe Umgebung, einen großen Wald oder die Natur selbst beinhalten. Seylina blickte sie aus ihren jadefarbenen, schrägen Augen an. Die Auelfen waren vor Jahrhunderten aus den großen Nordwäldern nach Süden gezogen, näher zu den Menschen und hatten den Kontakt mit anderen Völkern gesucht. Es war ein schwerer Prozess gewesen, mit viel Missverständnissen und bedauerlicher Weise mit Kampf und Tod verbunden. Die Mehrheit der Waldelfen hatte diesen Schritt als falsch empfunden und sahen keinen Sinn darin. Heutzutage waren die Waldelfen zu einem kleinen abgekapselten Volk ihrer Lebensart geworden, im fortwährenden Kampf gegen Eindringlinge ihres Reiches. Langsam liefen sie Gefahr für andere ein Mythos zu werden, wie die wenigen Elfen im Ewigen Eis des hohen Nordens. Möglicher Weise war der Weg der Auelfen besser gewesen, als die hohen Elfen des Waldes es damals war haben wollten. Das Wort „Heim“ brachte Seylina jedesmal seltsame Gedanken. Charie wartete geduldig ab, bis die grünen Augen aus der inneren Ferne zurückkehrten. „Wenn ich mich nicht täusche, haben wir einen Lastenaufzug gesehen, der zu einer Luke führen muss. Ich habe keinen Kornspeicher oder ein Lagerhaus gesehen, in dem die Ernten des Bodens und die Früchte der Natur einen Platz gefunden hätten. Sicher haben sie es dort oben gelagert und meistens gibt es eine Verbindung von oben ins Haus hinunter.“ „Das lässt sich rasch herausfinden“, erwiderte Seylina.

Wenig später standen die Elfinnen an der Hauswand, musterten die Umrisse der Tür in fünf Schritt Höhe, den Haken, an dem das Seil oben festgeknotet war und die Rolle. Alles sah stabil aus. Seylina ging in die Knie, spannte die Muskeln und schnellte nach oben. Sie packte mit beiden Händen das lose baumelnde Seil. Mit einer Gewandtheit, die jeden Menschen in ungläubiges Staunen versetzt hätte, hangelte sie sich nach oben und hing auf gleicher Höhe mit der Tür. Unglücklicher Weise gab es keinen Absatz. Seylina verlagerte ihr Gewicht, schwang kurz und stützte ihre Beine gegen die Wand. Sie drückte mit einer Hand gegen die recht massive Holztür – ohne Erfolg. „Versperrt, jedoch kein Hindernis“, rief sie zu Charie. „Da liegt ein Riegel von drinnen quer, den ich mit einem Dolch leicht wegdrücken kann. Moment.“ Das Quietschen der Tür verriet Charie den Erfolg. „Ein paar Säcke, etwas altes Stroh, Kisten und Fässer. Im Eck hinten schaut eine Leiter durch eine Luke. Tatsächlich ein zweiter Wegs ins Haus.“ Seylina rutschte am Seil hinunter und landete direkt vor Charie. Die Augen der Elfinnen trafen sich wieder und ohne ein Wort, verstand jede die andere: Gemeinsam oder getrennt? Seylina blickte zur Tür, Charie zum Lagerraum.

Die Tür öffnete sich vollends. „Hallo? Ist jemand zu Hause?“, rief Seylina mit wenig Hoffnung auf eine Antwort. Sie atmete tief ein und begann leise zu murmeln. Ihre freie Hand strich sich über die Augen und Ohren. Der Zauber erfüllte ihren Körper, ihr Sinne schärften sich: Augen, die im Halbdunkeln sehen konnten, Ohren, denen selbst das leiseste Geräusch nicht mehr verborgen blieb, eine Nase die einem Spürhund gleichkam. Langsam ging Seylina die schmale Diele des Haupthauses entlang. Der Holzboden ächzte leicht, was in ihren Ohren klang, wie über den Boden rollende Holzstämme. Von rechts, in die Richtung war der Schatten verschwunden, hörte sie ein Geräusch: Ein Kratzen von Krallen. Eine Art Koch- und Waschraum. Zur linken Hand war eine schmale geschlossene Tür. Der Korridor ging weiter gerade aus zu einem breiteren Durchgang in eine Stube. Davor bog er nach rechts ab. Seylina verharrte regungslos und lies die Vorkommnisse Revue passieren. Irgendwer oder Irgendwas vergiftete Tiere und vermutlich machte es vor Menschen, Elfen und Zwerge nicht halt. Vor Krankheiten musste sich Seylina nicht fürchten. Gegen Gift war auch eine Elfe nicht resistent. Sie beschloss kein Risiko einzugehen. Sie gab Charie Zeit den Weg durch die Luke ins Haus zu finden. Zu zweit war es gefahrloser. Gefahr? Gab es denn eine? Auch wenn sich herausstellen sollte, daß es völlig überzogen war, wie sie reagierte, Vorsicht war besser als Nachsicht. Langsam zog sie das Schwert aus der Scheide. Das Geräusch aus der Küche wurde von einem Wimmern aus der Stube übertönt. Seylina roch Schweiß und Angst. Langsam bildeten sich Worte aus dem Jammern. Sie lenkte ihre ganze Konzentration auf ihr Gehör: „Tötet alle. Armes Pferd von ... . Hat Frau ... getan. ... Kasim .. tot wie Pferd. Buck Angst. ...“ Einen Schritt näher. Ein bösartiges, wütendes Brüllen von rechts. Seylina fuhr der Schreck in die Glieder. Instinktiv riß sie das Schwert herum, sprang mit dem Rücken zur Wand, die Tür vor sich. Nichts. Leer. Ihr Geruchssinn nahm eine Katze war. Seylina senkte die Spitze ihres Schwertes langsam zu Boden. Ein schwarzer Kater buckelte mit gesträubtem Fell vor einem Waschzuber, der Schwanz pendelte, die Augen blitzten. Seylina kontrollierte ihre überempfindlichen Sinne. Das Brüllen wurde zum Fauchen. Seylinas Muskulatur entspannte sich. Der Kater, das Scheitern seiner Drohgebärde einsehend, änderte die Strategie und huschte durch eine armdicke Öffnung im Boden. Die Elfin nahm sich zwei Herzschläge Zeit, kontrollierte Atem und Puls, ermahnte sich selbst erneut zur Vorsicht und schlich weiter.

Charie kletterte die Leiter hinunter. Die kleine Kammer, in die sie gelangte, mußte ein Schlafraum gewesen sein. Der Vorhang am Durchgang war zur Seite geschoben. Dämmriges Licht von oben, offenbarte einen Flur. Mit einer kurzen Kopfbewegung erhaschte sie auf der anderen Seite einen zweiten Schlafraum. Geräuschlos trat sie auf den Flur. Dieser endete in der einen Richtung in einem leeren Raum mit Regalen, Fässern, einem großen Schrank und einer Kinderwiege. Am Boden lag Spielzeug: Eine aus Holz geschnitzte Kuh, ein Pferd und ein Hund. Charie orientierte sich in die andere Richtung. Der Flur bog nach einigen Schritten nach links weg. Sonnenlicht flutete um die Ecke. Ein unscharfer Schatten eines humanoiden Wesens. Charie zog ihren Langdolch. Das Fauchen einer Katze. Der Schatten drehte sich. Charie erkannte Bogen und Schwert. Lautlose Schritte vorwärts. An der Ecke blieb sie stehen. Rechts ging es zu einem Raum, dem wohl größten des Haues. Seylina erschien. Charie machte das elfische Zeichen für „Leer“. Seylina nickte, ihre Finger formten das Zeichen für „Mann“ und „Angst“, dann deutete sie auf die Stube. Charie ging in die Knie. Ihre Hand zeigte drei Finger. Sie klappte einen nach dem anderen ein. Mit dem letzten Finger drehte sie sich in der Hocke in die Tür, während Seylina zeitgleich aufrecht mit dem Schwert zum Stoß neben sie trat.

Die gute Stube strahlte eine rustikale Gemütlichkeit von gemeinschaftlichen Abenden, am Feuer erzählten Geschichten und entspannender Ruhe aus. Die Möbel des Raumes standen unangetastet an ihrer Stelle, als ob vor kurzem noch jemand am mächtigen Kaulbaumtisch gesessen hätte. Vereinzelte Sonnenstrahlen, die sich durch die Fensterläden schummelten, brachten bunte Lichttupfer auf die Vorhänge. Das Holz neben dem Kamin war sauber aufgeschichtet. Die Wände zierten ein paar Jagdtrophäen, zwei alte Turnierschwerter und eine Mosaikbild aus hunderten kleiner Steine, welches zwei sich aufbäumende Pferde verewigte. Das Glänzen der Holzdielen überdeckte durch regelmäßige Pflege die unzähligen Schuhe, die darüber gelaufen waren. Die Besonderheit des Raumes lag wie ein alter Traum in der Luft. Erst ein zweiter Blick offenbarte die fehlenden Stücke, die neuen kahlen Stellen. Hellere Flecken an der Wand zeugten von abgenommene Bildern, die leere Vitrine beherbergte einst das gute Geschirr der Bauern, der Sims des Kamins hatte die Geschichte der Familie in Form unterschiedlichster kleiner Gegenstände getragen. Der Staub hatte die leeren Stellen noch nicht vollkommen bedecken können. Links neben dem Kamin kauerte ein stämmiger, breiter Bursche mit wilden braunen Locken. Sein Gesicht in den Händen begraben, die Knie dicht an den Körper gezogen, wimmerte er leise vor sich hin: “ Buck sollte Herrn Kasim holen. Buck wollte. Herr hat nett gefragt. Aber Buck Angst vor böser Frau. Herr Kasim weggelaufen. Buck allein. Böse Frau wartet. Tötet alle. Armes Pferd von Herrn Eregim. Hat Frau kein Leid getan. Armer Herr Kasim. Bestimmt tot wie Pferd. Buck Angst.“ So ging es kaum hörbar in einer ewigen Schleife der Wiederholung.

Obwohl die beiden Elfinnen geräuschlos den Raum betreten hatten, spürte der Bursche eine Präsenz. Er hob den Kopf und seine Augen weiteten sich vor Staunen: Zwei strahlende weibliche Wesen waren zu ihm gekommen. Die eine trug ihr glattes, braunes Haar, welches bis über ihre Schultern reichte, offen. Das schmale ebenmäßige Gesicht, die leicht schräg stehenden braunen Augen und die spitzen Ohren, die gerne durch das Haar lugten, verrieten sie als fremdes Wesen. Sie trug eine gut gearbeitete helle Lederrüstung, welche die weiblichen, zierlichen Formen zur Geltung brachte. Die Rüstung war, schlicht, unverziert aber elegant, komplett aus dem gleichen Material gefertigt, so daß Oberteil, Hose, Stiefel, Armschützer und Beinschützer wie eine Einheit aus Wildleder wirkten. Die Frau trug keinen Schmuck, doch wäre jedes Kleinod durch ihre Ausstrahlung verblaßt. Der Langdolch in ihrer Hand, die kleinen Beutel am Gürtel, sowie der mit feinen Elfenschnitzereien verzierter Bogen aus Schwarzholz, der sich zusammengeklappt in einer speziellen Halterung am Rücken seitlich neben dem kurzen Köcher befand, der kleine Leinenrucksack unter dem dunkelgrünen Umhang waren Dinge, die für Buck keine Rolle spielten. Seine Aufmerksamkeit wanderte von Charie zu Seylina. Sie hatte ein wunderschönes und gleichzeitig fremdartiges Gesicht. Ihre geschwungenen Augenbrauen und lange Wimpern betonten ihre grünen schräg stehenden Augen, die in ihrem schmalen, ebenmäßigen Gesicht wie Smaragde funkelten. Die hochgezogenen Wangenknochen verliehen ihren schmalen Lippen einen freundlichen Ausdruck. Die glatte Haut war makellos. Das Gesicht wurde von blau schwarzem, hüftlangem Haar umspielt, welches ein silberner Reif fein säuberlich nach hinten fließen ließ. Die Lederrüstung aus hellbraunem Hirschleder lag eng an und versteckte keine der grazilen Bewegungen. Genauso kunstvoll wie ihr natürliches Erscheinungsbild, waren der Köcher und Bogen, die Schwert- und Dolchscheide, der Gürtel und die Stiefel mit elfischen Mustern und Symbolen verziert. In ihrer Hand lag ein strahlendes, blitzendes Schwert. Buck schnappte nach Luft und fühlte sich klein. Er wollte seinen Blick zu Boden richten, aber dieses verzauberte Gesicht zog in zurück. Da entdeckte er die Kette um Seylinas Hals. Er folgte den silbernen, verschlungenen Gliedern zu einem Medaillon, in dessen Mitte ein Jadestein im Farbton von Seylinas Augen eingefaßt war. Buck streckte den Arm aus, zeigte auf Seylina und schrie in Panik: „Drittes Auge zeigen böse Bilder.“ Voller Angst rollte sich der Bursche wie ein Welpe in sich zusammen, zitterte und wimmerte.

 10.Eintrag

Boradin beäugte den Pilz. „Bei meinem Barte, Brandur, siehst Du, was ich sehe. Riechst Du, was ich rieche. Fühlst Du, was ich fühle. Da ist Gold auf diesem Pilz!“ Brandur ruckte blitzartig herum und starrte auf das Gewächs vor dem Gesicht seines Freundes. Einen Pilz mit goldenem Staub hatte Brandur noch nie gesehen. Er kannte viele Metalle aus den Bergwerken und Minen, besonders die schönen Silber- und Goldadern. "Hui, was für eine außergewöhnliche Entdeckung! Boradin, wenn du noch näher an den Pilz ran rückst, drückst du ihn mit deiner großen Nase platt!" bemerkte Brandur. "Das Monster wird sicherlich den Pilz bewachen und der Besitzer des Hutes war der Versuchung erlegenen, wollte ihn pflücken!" Danach lagen beide Zwerge voller Verzückung bäuchlings vor dem Pilz. „Ein Fungus wächst selten allein. Such Du nach anderen.“ Boradin streckte langsam einen Finger nach vorne. Brandur zückt sein Messer. „So ein Pilz ist einzigartig, wir sollten eine Probe nehmen.“ Boradin protestierte energisch: „Ich hab ihn zuerst entdeckt. Das ist mein Gold.“ Brandur knirschte mit den Zähnen.

Von weitem rief Nijura den beiden zu, sie sollten nicht trödeln, sondern lieber mit ihr den Spuren folgen. Den Hut hielt sie in der Hand. Ein Hinweis und wenn er keine Spur brachte, ein schicker Hut für ihren Kopf. Sie signalisierte, dass sie ein Stück voraus gegen würde. Die Spur war auf dem weichen Waldboden leicht verfolgbar. Von der Tiefe und Größe schloß Nijura auf einen Mann. Anfangs waren die Abstände klein, verliefen mal nach rechts, mal nach links, wurden nach und nach größer, grader und tiefer. Er schien sein Ziel gekannt zu haben, in der Nähe des Tümpels, hatte er die Gegend untersucht. Als die Bäume lichter wurden hielt die Waldläuferin an. Ein Feld, ein kleiner Pfad und einige Häuser schimmerten durch die Büsche des Waldsaums. Nijura wartete auf die Zwerge.

Keiner der beiden hatte sie beachtet. Man einigte sich gemeinsam auf eine Erkundung der Gegend nach weiteren Goldgewächsen. Brandur war hin und her gerissen, eine Probe von der Kappe zu kratzen, aber da war dieses Monster im See und wie um Himmels willen war das Gold auf den Pilz gekommen. "Gold wächst doch nicht einfach so!" brummelt Brandur leise. „Eben“, bestätigte Boradin. „Der ist eine Rarität, ein Unikat, der Einzige … mit … oder auch … nicht.“ Boradin wurde gegen Ende des Satzes langsamer und langsamer. Hinter zwei gedrungenen Bäumen voller Moosen und Flechten lag eine Senke mit unzähligen dieser Pilze. Die Theorie mit dem Monster als Bewacher wurde fallen gelassen. Sie schritten staunend in die Vertiefung. Brandur in Mitten eines großen Haufen von Pilzen, schabte von einem die oberste Schicht Goldstaub ab. Beide Nasen schnupperten prüfend über dem kleinen Messer. Es roch durchaus schmackhaft. Boradin feuchtete seinen Finger an, tippte eine Spur vom Messer und prüfte mit der Zunge. „Kein Geruch, kein Geschmack, kein Prickeln, kein Metall - kein Gold.“ Brandur beobachtete Boradin genau. Weiteten sich die Pupillen, zuckte ein Gesichtsmuskel, schwankte er? „Hab ich Gold auf der Nase oder warum starrst Du mich so entgeistert an?“ Mit einem kräftigen Gähnen erwiderte Brandur: „Wollte sicher sein, dass Du Dich nicht vergiftest, sind schließlich Pilze.“ „Och, eine kleine Brise haut keinen Zwerg um.“ Boradin streckte sich. „Der Typ mit dem Hut hat bestimmt gedacht, es wäre Gold und war gierig. Seine Aufmerksamkeit war weg und platsch lag er im Wasser und wurde gefressen. Eine einfache Erklärung. Kein großes Geheimnis. Eine neue Sorte Pilz, ein riesiger Tümpel im Wasser und da drinnen ein Monsterfisch. Keine Aufregung wert, oder? Oder Boradin?“ Brandur drehte sich um. Der andere Zwerg lag ausgestreckt auf dem Rücken und schlief tief und fest. „Pfff, er hätte das Kosten bleiben lassen sollen. Ich werde ihn wegschleppen. Gleich. Ein bisschen Ausruhen. Er ist schwer in seiner Rüstung. Dazu brauche ich - gähn - Kraft.“ Bald schluckte der Wald das kräftige Schnarchen zweier Zwerge.

 11.Eintrag

Charie und Seylina senkten ihre Waffen. Der auf dem Boden zusammengerollte und wimmernde Bursche, war keine Gefahr. Er war kräftig gebaut, seine Haut von der Sonne gebräunt, sein schwarzes lockiges Haar zerwühlt. Ein graue Leinenhose, ein braungraues Hemd und ein kleiner Beutel an einer Hanfkordel um seinen Hals, schienen seine einzigen Besitztümer. Seylina steckte ihr Schwert in die Scheide. Während sie langsame Schritte in Bucks Richtung machte, sprach sie in ruhigem Tonfall auf ihn ein. Sie war erstaunt, über seine Größe. Hatte sie zuerst einen Halbwüchsigen vermutet, erkannte sie einen ausgewachsenen Mann. Seine Verhalten erinnerten sie aber mehr an ein Kind, dementsprechend wählte sie leicht verständliche Worte. Buck schielte durch seine breiten Hände, zuckte zusammen und versteckte sich wieder. Je näher die Elfe kam, desto mehr zitterte der Bursche und jammerte vor sich hin. Charie riet Seylina auf elfisch die Kette mit dem Anhänger unter ihrer Kleidung zu verbergen. Gleich darauf bereute Charie die Wahl ihrer Sprache, als Buck von Hexen, Zaubern und bösen Frauen brabbelte. Offensichtlich war sein Geist zurückgeblieben. Seylina war auf zwei Schritt heran, kniete sich ohne hastige Bewegungen hin, lies die Kette dabei geschickt aus dem Blickfeld verschwindend und wartete. Der Geruch von Schweiß stieg ihr in die Nase. Stall und Tiere. „Hab keine Angst. Wir tun Dir nichts. Wir wollen Dir helfen“, sprach Seylina den Burschen an. Buck schnappte nach Luft, setzte sich auf, schob sich jedoch weiter in die Ecke des Kamins: „Stimme wie Zauber. Glöckchen. Buck nicht hören. Zauber nicht wirken.“

Charie machte es sich neben Seylina auf dem Boden gemütlich. Sie fing eine kleine Unterhaltung an, über das Wetter, die Tiere draußen und holte beiläufig ein Stück Brot aus ihrem Proviantbeutel. Seylina spielte mit, nahm ein wenig vom Brot und aß. Charie führte die andere Hälfte zum Mund. Buck schielte zwischen den Fingern auf das Brot. Charie lächelte ihn an:“ Dein Name ist Buck? Hast Du Hunger? Hier, nimm das Brot, wir haben mehr. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Bucks Hand zitterte. Sein Hunger unterlag seinem Mut. Charie warf das Brot vor seine Füße. Die Elfinnen unterhielten sich weiter. Buck schnappte sich das Brot und verschlang es hastig. „Kann Buck Wasser haben? Gutes Wasser?“ Seylina schmunzelte beim Lösen ihres Wasserschlauches: „Da ist Wasser drinnen.“ Buck blickte misstrauisch: „Gutes Wasser?“ Seylina nickte. Der Bursche schenkte ihr keinen Glauben. Charie formte ein elfisches Zeichen des Trinkens. Seylina öffnete den Schlauch, goss etwas Wasser in ihre hohle Hand, bevor sie einen Schluck trank. Buck beobachtete sie lange. Seylina reichte ihm erneut den Schlauch: „Das Wasser kommt aus dem Fluß an der großen Straße.“ Buck zögerte immer noch: „Nicht aus Brunnen?“ Charie schüttelte den Kopf. Mit einem Griff in die Tasche zeigte sie Buck den Stein vom Brunnen. „Den habe ich am Brunnen gefunden, er bedeutet etwas?“ Buck nickte, ruhiger, doch voller Misstrauen. Er erinnerte Charie an ein ängstliches Tier. „Wasser in Brunnen machen Starke krank. Machen Schmerzen. Machen andre tot. Tiere tot. Frau tot. Lisa tot“. „Dann warnt der rote Stein vor dem Wasser?“, vergewisserte sich Charie. Buck nickte heftig. Seylina reichte Buck den Wasserschlauch: „Gutes Wasser“. Diesmal siegte der Durst über die Furcht. In großen Schlucken verschwand das Leben spendende Nass in Bucks Mund. Einiges floß daneben. Buck reichte den leeren Schlauch zurück. Sein Gesicht wurde rot. „Buck dumm. Haben alles getrunken. Wasser weg.“ Charie zeigte auf ihren vollen Schlauch. „Wir haben mehr. Sag Buck, wohnst Du hier?“ Der Bursche schüttelte den Kopf: „Buck wohnt in Stall. Buck mag Tiere. Tiere mögen Buck. Tiere weg. Buck weg.“ Seylina blickte mit verengten Augen auf den leeren Wasserschlauch und fragte: „Wo sind die Bewohner des Gehöftes?“ Bucks Blick wurde traurig. Seine Angst wich tiefer Trauer. „Herr ging weg. Alle gingen. Tiere tot. Heiler tot. Buck ging mit. Buck hat Herr Kasim vergessen. Buck zurück Herr Kasim holen.“

Beide Elfen schwiegen. Buck pendelte leicht vor und zurück. Er schien in seiner Welt zu sein und erzählte weiter: „Herr Kasim war zornig. Buck hat Herr Kasim vergessen. Buck dumm. Herr Kasim mag Buck. Hat Buck gezeigt. Buck hat Herrn Kasim in Armen. Da kam böse Frau. Hat Pferd von Herrn Eregim getötet. Frau bösen Blick. Kasim Angst, sprang von Arm. Buck in Haus gerannt. Frau wollte Buck töten.“ Buck blickte unvermittelt auf und sah in Charies Augen: Herr Kasim tot?“ Charie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich weiß nicht wie Herr Kasim aussieht.“ „Oh“, entfuhr es Buck. „Herr Kasim hat Haare schwarz, grüne Augen, Beine kräftig, weißer Fleck auf Ohr, Narbe am linken Bein von Fuchs, kleiner Knick im Schwanz, gesunde Zähne.“ Seylina dämmerte die Lösung. Herr Kasim war der Kater in der Küche. Seylina lachte. Charie blickte erstaunt auf ihre Begleiterin. „Herr Kasim lebt, Buck. Ich habe ihn kurz vorher in der Küche gesehen. Er ist dort in einem Loch verschwunden.“ Buck sprang auf. Reflexartig spannten beide Elfinnen die Muskeln an. Der Bursche war fast zwei Schritt groß. „Buck holt Herr Kasim. Dann fort. Schnell.“ Er rannte zur Tür, hielt inne und drehte sich zu den beiden um: „Buck dumm. Böse Frau vor Tür. Buck kann nicht raus.“ Seylina erhob sich. „Wir haben niemanden draußen gesehen. Der Hof ist vollkommen leer.“ Charie ergänzte: „Wie sah die Frau aus Buck. Damit wir wissen, vor wem wir Dich beschützen sollen.“ Buck schaute auf Charie, die mittlerweile aufgestanden, mehr als einen Kopf kleiner war als der Mann und vor im mehr als zierlich wirkte. „Haar wie Herr Kasim. Größer als Du. Kleiner als Buck. Kleid gut. Blau. Gürtel mit Blitzen in Sonne. Gesicht wie Herr. Kanten. Kleiner Ring mit blauem Stein. Frau schnell. Geruch von Blume. Augen böse. Augen wie Blitz von Himmel, wenn Götter böse.“ Buck schüttelte sich wie ein nass gewordenes Tier. „Frau fort? Buck holen Herrn Kasim. Dann fort. Schnell. In Dorf. Herr Nurbart hilft. Herr Nurbart Herr von Dorf.“

 12.Eintrag

Edda saß am Feuer und schürte die glühenden Holzscheite. Ihr Haus hatte zwei Zimmer, eines für die Vorräte, für den Schlaf und für ihre Lieder, eines für die schwere alltägliche Arbeit. Früher hatte sie sich das Häuschen mit ihrem Bruder geteilt. Ildorin fehlte ihr sehr. Er war ein fröhlicher Mann mit wachem Verstand und geschickten Händen gewesen. Keiner konnte so gut mit den Materialien umgehen, die es benötigte, ein Musikinstrument zu bauen. Die Handwerksstücke ihres Bruders waren weit mehr als bloße Holzarbeiten. Er schaffte es, ihnen eine Art eigenes Leben einzuhauchen. Er hatte ihre Harfe und ihre Flöte gebaut. Unersetzliche Stücke eines Schatzes. Ildorin meinte immer, seine Instrumente wären kaum erwähnenswert, allein durch ihre Hände würden sie zu atmen beginnen und magische Musik erklänge. Ach, er hätte mit seiner Kunstfertigkeit am Hofe oder in der Stadt gut verdienen können. Vielleicht beide. Edda war von ihrem Talent weit weniger überzeugt als ihr Bruder. Als er durch eine Lungenentzündung vor sechs Jahren gestorben war, hatte sie kein Interesse mehr den Ort zu verlassen. Das Dorf war klein, lag abseits der Straße, doch die Dörfler waren eine gute Gemeinschaft, die Natur gab ihnen, was sie brauchten und viele Reisende verpassten die Kreuzung am Auersbach und verirrten sich den Weg entlang zur Taverne. Manch anderer Wanderer mochte den kleinen Umweg durch die Landschaft, verlies die Reichsstraße und kehrte eine Nacht bei ihnen ein. Sie erfreute die Gäste mit Liedern und lauschte gespannt den Reisenden mit ihren Geschichten der weiten Welt. Edda war zufrieden. Bis, ja bis zu dem Tag als die kleine Lydia gestorben war und das Unheil begann. Sie stieß den Feuerhaken ärgerlich in die aufstobende Glut.

„Ihr seid mit Euren Gedanken in der vergangene Zeit.“ Edda erschrak ein wenig. Sie hatte über ihre Gedanken ihren Gast vergessen. „Verzeiht, Wohlgeborene, wir sind einfach Leute und oft allein. Da wird man komisch.“ „Entschuldigt Euch nicht bei mir. Eure Gedanken sind es sicher wert, denn ich sah ein Lächeln auf Euren Lippen.“ Edda errötete. „Verzeiht, wenn ich auf ein unangenehmes Thema lenken muss. Die Strauchdiebe, gibt es jemanden der sie vermissen wird, der Rache üben könnte?“ erkundigte sich die Frau, die sich Edda mit Zenia Zorkana vorgestellt hatte, eine Reisende aus einem edlen Haus. „Oh – nein. Kein Grund zur Sorge. Sie waren allen Banditen und haben die Strafe verdient. So weit ich weiß, hatten sie keine Frauen und ihr Vater starb am Fluch.“ Zenia verzog keine Miene. „Ich frage wegen Euch. Ihr könnt die Habseligkeiten der Männer behalten, ich habe kein Interesse daran. Dunkelstern wird die Körper zusammen getragen haben, neben der Straße, dort wo das Holzschild den Weg zur Kreuzung weist.“ Edda wiegte den Kopf. „Ich weiß nicht, die Sachen der Toten nehmen. Das ist lästerlich.“ Zenia nahm einen Schluck des heißen Gebräus, das an Brennnesseln erinnerte. „Sie sind tot. Niemand wird Anspruch darauf erheben und einiges mag dabei sein, zu schade für die Maden. Schenkt es den Armen. Verkauft es. Spendet einen Teil den Göttern. Was immer ihr wollt.“ Die Bardin überlegte, einige könnten das bißchen Geld gut gebrauchen. Es war hart geworden das Leben. „Gut, ich werde mich darum kümmern“, beschloss Edda. „Darf ich fragen, was Euch in unsere Gegend bringt? Verzeiht meine Neugier, bitte.“ Die Frau blickte sich um, die Frage ignorierend. „Ich bereite Euch kein Unbehagen, die Nacht bei Euch?“ „Nein, ich bin, war, es gewohnt den Raum zu teilen. Es erfreut mich.“ „So habt Dank. Ich werde morgen aufbrechen, bevor die Sonnenscheibe den Horizont erreicht. Ihr werdet nicht gestört werden.“ „Oh, so schnell, ich hatte Hoffnung, ihr würdet eine Weile bleiben. Ich würde, wißt ihr, es ist ... dieser Fluch.“ Edda seufzte. Zenia stellte den dampfenden Holzbecher ab. „Ich kann mich einer Gruppe Kämpfer erwehren. Ich kann mein Schwert singend in die Schlacht führen. Ich wirke Fäden der Magie des Kampfes. Ich verführe und vernichte, in allen Bereichen. Meine Person ist für die Beseitigung eines Fluches Eurer Art Fehl am Platz.“ Der Bardin stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. „Ihr wißt ja nicht einmal, worum es sich handelt“, entfuhr es ihr trotzig. Zenia presste die Lippen aufeinander, ihre Wangenknochen traten hervor. Die Frau nervte sie. „Jeder halbwegs Sehende, weiß, welch Schicksal sich ereignet. Jeder muss seinen Weg finden. Vor zwei Mondläufen ritt ich durch ein Dorf, vom Fürst niedergebrannt, da die Bewohner die hohen Steuern verweigerten. Vor Gareth stehen Bäume deren Äste die gehängten Leiber von Dieben tragen. Im Norden dringt die Pest der Orks in die besiedelten Gebiete der Mark. Über all jene kam ein Fluch. Niemand wird verschont. Wenn ihr es wahrhaft wissen wollt, mir ist es egal.“ Die Stimme der Frau klang verbittert. „Genießt die Augenblicke der Freude, sie währen viel zu kurz.“ Edda war verwirrt. Hatte ihre Menschenkenntnis sie dermaßen im Stich gelassen. Ihre Gedanken stolperten übereinander. Enttäuschung stand in ihrem Gesicht. „Eure Einladung bleibt für diese Nacht“, fragte Zenia völlig emotionslos. Edda richtete sich auf. „Ich werde die Göttin der Gastfreundschaft ehren, Lady Zorkana. Verratet mir nur eins: Warum habt ihr vorhin auf der Straße gesagt, ich sollte Euch von dem Fluch erzählen, wenn es Euch lästig ist?“ Die Antwort war so einfach wie schockierend: „Ich wollte nett sein."

 13.Eintrag

Das Schnarchen lockte einige Waldbewohner an. Ein Eichhörnchen lugte von einem Ast, beäugte die schlafenden Zwerge neugierig, hoppelte weiter. Zwei Grinmäuse auf der Suche nach Futter knabberten an den Pilzen. Eine kleine Bewegung vom schlafenden Brandur jagte sie davon. Nicht lang und die beiden Mäuse tippelten näher. Ihre spitzen Nasen zuckten aufgeregt. Der Duft des zwergischen Proviants wehte verlockend in ihre Richtung. Ein Geräusch vom Wasser ließ die beiden kleinen Tiere erstarren. „Inivar jevlin larg ishda?“ Die Mäuse liefen auf das Wesen zu, welches sich aus dem Wasser erhob. Eine feingliedrige grünliche Hand legte sich auf den Boden. Die Grinmäuse sprangen auf die Handfläche und wurden emporgehoben. „Elvien lumantanurio.“ Die Worte klangen durch den Wald, der wie unter einer Liebkosung zu erstaunlichem Leben erwachte. Farne rollten sich aus, die Pilze schimmerten in güldenem Licht, kleine Bäume wiegten in einem imaginären Wind und eine sanfte Melodie beruhigte Jäger und Gejagte des Tierreiches. Die Grinmäuse hopsten auf die zierliche Schulter und verschwanden in den grünen dichten Haaren. Leuchtende hellgrüne Augen musterten die auf dem Boden friedlich schlafenden Zwerge. „Erinja do neda.“

„Boradin spürte einen Hauch im Gesicht. Er öffnete die Augen und Blickte in die kugelrunden Augen einer bildhübschen Zwergenfrau. Sie reichte ihm die Hand, zog in auf die Beine und deutete auf einen reich gedeckten Tisch. Die Auswahl an Köstlichkeiten war grenzenlos. Überwältigender war das Gedeck. Güldene Schüsseln mit reichen Runenverzierungen, Teller mit juwelenbesetzten Rändern, schwere Dunkelholzbecher, die den Geschmack eines Bieres richtig zur Geltung kommen ließen. Es war ein Traum. Ein Traum in den man sich ohne Zögern verlieren konnte.“

„Wirre Bilder zeichneten sich ab in Brandurs Traum. Er sah seinen Großvater, ein kleines Mädchen und sich selbst. Eine Szene aus seiner Kindheit im Ambranwald. Aber der Platz hatte sich verändert! Grausam sah es aus, die Bäume tot, roter Nebel zog durch den Wald, ein finstere Tümpel, den es dort niemals gegeben hatte. Das kleine Mädchen veränderte sich: Aus dem jungen Menschkind wurde eine kleine Elfe, dreckige Kleidung, ein blutiges Gesicht, ein zerbrochener Bogen lag neben ihr. Ihr Gesicht – es war die kleine Nijura!“

Die Waldläuferin wartete geduldig am Waldrand. Es war merklich dunkler geworden. Wenn sie die Nacht an einer geschützten Stelle verbringen wollten, mussten sie sich beeilen. Allein aus diesem Grund kehrte Nijura zurück. Je näher sie der Stelle kam, an der sie die Zwerge vermutete, desto mehr bemerkte sie die Veränderung des Waldes. Die Ruhe und der Friede schlichen sich in ihr Bewusstsein. Es strahlte keine Bedrohung aus. Es war kein Einschläfern. Im Gegenteil, die Waldläuferin schien mehr zu hören und zu sehen, als jemals in einem Wald zuvor. Staunend schritt sie durch die Bäume, vermied auf die kleinen blühenden Blumen zu treten und rief nach ihren Freunden. Die Abdrücke der schweren Stiefel vor ihr, die Fackel von Boradin. Nijura schüttelte den Kopf um ihre Sinne zu ordnen. Sie musste sich auf die Fährte konzentrieren in der Vielfalt der Natur, die sie umgab. Da lagen die beiden, seelenruhig schlafend Seite an Seite auf einem Teppich aus Pilzen und Moos. Der kleine Baum neben ihnen war hübsch. Grüne Flechten bedeckten ihn, kleine Blätter und Blüten wuchsen auf seiner Rinde und zwei Waldmäuse saßen auf seinem Ast. Nijura blickte sich um. Wären die Geschehnisse des Tages nicht gewesen, hätte sie sich liebend gerne dazugelegt. Die Stelle war für eine Nacht im Wald optimal. Ihr Instinkt warnte sie. Die Schatten der Nacht hatten den Waldboden erreicht. Nijura entzündete die Fackel. Das Pech fauchte und die Flamme züngelte empor. Aus den Augenwinkeln, schemenhaft, glaube Nijura eine schnelle Bewegung einer menschlichen Gestalt zu erhaschen. Ein Platschen im Wasser. Nijura drehte sich herum. Kleine Wellenbewegungen verrieten den fremden Besuch. Das Wasser beobachtend schlich Nijura zu den Zwergen. Vorsichtig stieß sie Brandur mit dem Fuß an. Der zweite Versuch war kräftiger. Der dritte kam einem Tritt gleich. Brandur grunzte, drehte sich auf die Seite. Boradin schnarchte tief und fest weiter. „Brandur, wenn Dir Dein Bart lieb ist, wach auf oder das Feuer wird ihn Dir stutzen.“ Nijuras Drohung zeigte eine sofortige Wirkung. Brandur öffnete die Augen: „Nijura, Du lebst!“ Nijura hob erstaunt die Fackel. „Natürlich, ihr habt wie die Toten geschlafen.“ Brandur verdrängte den Traum. Zwerge träumten sehr, sehr selten und wenn Bilder sie im Schlaf besuchten, dann hatte es eine große Bedeutung. Er musste später darüber nachdenken. Der Zwerg rappelte sich auf, gähnte herzhaft und hielt Boradin die Nase zu. Nijura bückte sich, klappte mit der freien Hand den Kiefer von Boradin nach oben und als zuviel Luft in den Lungen fehlte, wachte Boradin hustend und japsend auf. Entgegen Nijuras Erwartung erfolgte kein Protest. Boradin stand auf und murmelte: „Laßt uns verschwinden. Der Wald ist mir unheimlich.“ Boradin spürte eine Gänsehaut seinen Rücken hinunter laufen. Nijura bemerkte den Umschwung erst jetzt. Das Leben war aus dem Wald gewichen. Er wirkte schaurig, unheimlich und wäre sie eine Elfe gewesen, hätte sie endlos traurig hinzugefügt.

 14.Eintrag

Während Buck durch den Flur huschte und in der Küche verschwand, brachte Charie den roten bemalten Stein zurück in den Brunneneimer. Ihre Gedanken kreisten um die Zusammenhänge zwischen dem toten Pferd, der Frau und Bucks Angst. War die Frau wirklich böse oder hatte sie Buck nur erschreckt. Seylina postierte sich am Eingang und wartete. Aus der Küche vernahm sie Bucks Lockrufe, ein Mautzen und bald tauchte der Bursche mit dem schwarzen Kater „Herrn Kasim“ auf dem Arm neben ihr auf. Er machte einen Schritt nach draußen. Ängstlich schaute er in alle Richtungen. Charie kehrte grade zurück: „Buck, warum war die Frau böse? Hat sie Dir wehgetan?“ Buck zeigte mit seiner Hand auf das Pferd und stotterte leicht: „F-Fr-frau h-hat Pf-Pferd? getötet! Frau sehr böse. Buck schlau. Rannte in Haus. Böse Menschen können nicht in gutes Haus!“ Seylina zog skeptisch einen Mundwinkel nach unten. Charie fragte mit sanfter Stimme weiter: „Was wollte die Frau hier?“ Buck zog die breiten Schultern bis zu den Ohren: „Buck dumm. Frau kam. Frau böse. Buck rannte.“ Eine kurze Pause entstand. Buck war verunsichert. „Frau hat Buck gesehen. Hatte böse Augen“, bekräftigte er seine Meinung. Charie kniete sich neben das Pferd. Es gab keine Anzeichen einer Vergiftung oder Krankheit. Das Pferd war mit einem sauberen Stich, schnell und ohne großes Leid getötet worden. Die Frau wusste auf jeden Fall, was sie tat. „Buck, diese Krankheit, ist sie ansteckend?“ Buck schüttelte den Kopf: „Buck dumm. Was ist ansteckend?“ Seylina half aus: „Macht ein Tier ein anderes krank?“ Buck schüttelte den Kopf: „Tiere krank vom Wasser. Tiere tot vom Wasser. Tiere nicht krank von Tieren. Nicht essen kranke Tiere. Dann Tiere machen krank. Machen tot.“ Charie meinte: „Darum wurden die Tiere in der Grube verbrannt.“ Seylina nickte. „Buck, hat jemand herausgefunden, warum das Wasser schlecht ist?“ Buck zuckte bei der Frage zusammen. Er flüsterte geheimnisvoll: „Bardin sagte böser Fluch. Leute lachen. Dann Tiere tot. Menschen tot. Leute Angst. Gehen weg. Klein Lisa tot. Herr und Familie weg. Stall leer. Kommen wenn Fluch weg.“ Buck kullerte eine Träne die Wange hinab. Er schniefte heftig. Herr Kasim maunzte. Buck streichelte den Kater. Dieser klettere Geschickt auf die breiten Schultern des Burschen, schmiegte seinen Kopf an dessen Wange und schnurrte. Buck schnurrte mit einem unschuldigen Kinderlächeln zurück. Vergessen war die Trauer.

Seylina’s Augen verengten sich. Sie zweifelte oft an den Reaktionen der Menschen und die von Buck waren besonders seltsam. Mehr aus Vorsicht wob sie einen elfischen Zauber und drang in die Gefühle und oberflächlichen Gedanken des Burschen ein. Eine Flut unsortierbarer Emotionen und Wortfetzen strömte auf sie über. Seylina unterbrach die Verbindung. Der Stallbursche war weder geschockt, noch hinterlistig. Er hatte die Seele eines Kindes. Obwohl diese Feststellung für Seylina noch irritierender war, beruhigte es sie. Die Elfin winkte den beiden: „Wir sollten uns beeilen. Die anderen warten und der Tag neigt sich dem Ende zu. Wie weit ist es zum Dorf?“ Seylina schätze die Zeit bis zur Dämmerung. Es blieben zwei Stunden. „Buck?“ Der Bursche wurde aus seinem Schnurren gerissen. „Buck? Hier!“ Charie lächelte. Seylina wiederholte ihre Frage. Buck antwortet: „Mit kleinen Schritte von Frauen so lange wie Geschichte von Wagenrennen.“ Charie lächelte breiter. Seylina seufzte: „Großartig. Wir sollten im Hof übernachten. Ich habe keine Lust einem verrückten Tier oder Menschen in der Dunkelheit zu begegnen. Holen wir die anderen!“ Buck wurde neugierig: „Mehr Frauen wie Sonne?“ Charie lachte. Seylinas nicht mehr ganz so emotionsloser Gesichtsausdruck und Bucks Wortwahl waren zu komisch. Seylina konterte: „Nein Buck, Männer mit noch kleineren Schritten und langen Bärten.“ Buck lächelte: „Zwerge!“ Während Charie vom nächsten Lachanfall Seitenstechen bekam, ließ Seylina resigniert die Schultern hängen. Charies melodisches Lachen war jedoch ansteckend. Seylina huscht ein Lächeln über das Gesicht und Buck gluckste laut. Sie machten sie sich auf den Weg zu Brandur, Boradin und Nijura.

Dem Weg zurück folgend erkundigte sich Seylina bei Buck über Herrn Nurbart. Buck erklärte mit seinen einfachen Worten, dass Nurbart der Dorfvorsteher war. Ihm oblag die Verwaltung innerhalb des Feudalsystems, er schlichtete Streitigkeiten und organisierte die Gemeinschaft in guten und schlechten Zeiten. Er war ein weiser Mann, der gerne aß und immer gut zu Buck gewesen war. Seylina fand heraus, dass Buck öfter das Dorf besucht hatte, um kranke Tiere zu versorgen und der Bardin Edda bei ihren Geschichten zu lauschen. Buck hatte offensichtlich eine gute Hand mit dem rechten Gespür für Tiere. Seylina befragte Buck mit Bedacht. Sie wollte ihm keine Angst einjagen. Gerne hätte sie mehr über das „Dritte Auge mit den bösen Bildern“ erfahren, jedoch fürchtete sie eine Panik und verschob die Angelegenheit auf später.

Charie, einige Schritte voraus, hob die Hand. Sie hatte den in die trockene Erde eingeritzten Pfeil entdeckt. Seylina folgte kurz den deutlichen Spuren der Kameraden in Richtung Wald. Das letzte Tageslicht lugte über die Baumspitzen. Unweit entfernt lag der Kadaver des Stieres. Einige Raben saßen krächzend auf dem toten Tier und pickten kleine Fleischbrocken heraus. Charie ärgerte sich über den Leichtsinn, das Tier so liegen gelassen zu haben. Sie scheuchte die Aasfresser in die Lüfte. Am liebsten hätte sie den Stierkörper verbrannt, wie die Schweine beim Gehöft. Siedend heiß fiel ihr das Pferd ein. Unglücklicher Weise hatte niemand von ihnen Öl dabei. Buck wusste aber von einer brennenden Flüssigkeit in der Küche des Hofes. Seylina kehrte zurück: “Scheint, sie haben einen längeren Ausflug in den Wald unternommen. Ich kann niemanden am Rand entdecken.“ Buck blickte zu den Bäumen: „Wald guter Ort. Voller Tiere. Voller Ruhe. Klarer Teich mit Fischen. Buck dort schön Träumen.“ Seylina hatte in der Nähe des Waldes ein ganz anderes Gefühl gehabt. Er wirkte kalt und dunkel. Charie seufzte. „Nijura und die beiden Zwerge sind erfahren. Sie wissen, daß wir zum Gehöft wollten. Ich schlage vor, wir kümmern uns um die Kadaver der Tiere und warten auf sie am Hof. Am Ende laufen wir in den Wald und sie suchen uns draußen.“ Seylina stimmte zu.

Zurück auf dem Gehöft holte Buck ein Tongefäß mit einer stechend riechenden Flüssigkeit aus der Küche. Zu dritt zerrten sie das Pferd hinter das Haus in die Grube und verbrannten den Kadaver. Noch bevor das Feuer aus war, griff Charie das Gefäß mit der brennbaren Flüssigkeit und machte sich auf den Rückweg zum toten Stier. Die Gefahr, daß sich andere Tiere anstecken könnten, war ihr viel zu groß. Dunkelheit umschloss sie, Der Mond würde erst in einigen Stunden am Firmament stehen. Charie machte sich keine Sorgen. Sie mochte die ruhigen Stunden der Nacht und der Weg war bekannt. Zudem konnten die Augen der Elfin die Dunkelheit weitaus besser durchdringen, als es den Menschen möglich war.

Während die Auelfe weg war, richteten Buck und Seylina ihr Nachtlager her. Niemand wollte im Haupthaus schlafen. Buck sammelte altes Stroh und legte sich in eine der Pferdeboxen. Der Kater schmiegte sich an ihn und beide waren schnell eingeschlafen. Seylina lagen viele Fragen auf den Lippen, aber Buck schlief so tief und friedlich, es wäre eine Schande gewesen, ihn zu wecken. So legte sie ihre und Charies Decke an eine vom Wind geschützte Stelle in der Nähe des Stalls. Beide Elfinnen zogen eine Nacht unter freiem Himmel vor. Seylina setzte sich, zog eine dünnere Decke über ihre Schultern und überflog die Ereignisse. Zuerst müßte die Gruppe am Morgen wieder zusammenkommen. Gemeinsam sollten sie ins Dorf und den Dorfvorsteher als auch die Bardin befragen. Besonders die Bardin mit ihrer Bemerkung über einen Fluch schien Wissen zu tragen. Für Seylina war das Wasser Teil des Unheils. Es war vergiftet – ob durch einen Fluch oder eine natürliche Ursache würde sich herausstellen. Sie sollten ihr Wasser rationieren und wenn möglich, sauberes Wasser nachfüllen. Die Waldelfin suchte eine bequeme Position und hielt Wache.

 15.Eintrag

Brandur und Boradin folgten Nijura aus dem Wald. Im Augenblick wurde jede Neugier von der seltsamen Stimmung, den unheimlichen Vorkommnissen und der Dunkelheit unterdrückt. Müde und geschafft von dem beunruhigenden Traum stapfte Brandur durch das Moos. „Wie lange haben wir geschlafen?“ erkundigte er sich mürrisch. „Weniger als drei Finger der Sonne“ antwortet die Waldläuferin. Sie konzentrierte sich mit einer Fackel in der Hand auf den Weg hinaus. Brandur grübelte über seinen Traum. War das Mädchen wirklich Nijura gewesen, eigentlich hatte er ein Elfenmädchen gesehen. Nijura war definitiv ein Mensch.“ Wirre Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Sollte er von dem Traum erzählen. Boradin zog ihn kräftig an der Schulter nach rechts. „Schau nach vorne! Oder willst Du wieder im Schlaf versinken, wenn Du den Baum mit Deinem Schädel rammst?“ Brandur grunzte verdrießlich. „Bei meinem Bart, stand der Baum schon vorher hier?“ Nijura lachte: „An dem Tümpel geht Merkwürdiges vor, aber wir sind bereits weit entfernt. Ich kann Dir für diesen Baum keine Garantie geben, doch ich wette, er war lange vorher da.“ „Ich bin trotzdem älter, der Baum ist dürr und klein. Wir sollten lieber ein Lager aufschlagen, Wachen einteilen und Fallen auslegen.“ Nijura blieb stehen. Ihre Stirn runzelte sich sorgenvoll. Der fröhliche Brandur schien verändert, bedrückt. Boradin dagegen war still, gab keine seiner kurzen stichhaltigen Kommentare. Dafür trug er ein fortwährendes Lächeln in seinem Gesicht, welches seinen perfekt gepflegten Bart erzittern lies. Nijura ermutigte beide Zwerge mit mäßigem Erfolg. Sie hatte keine Vorstellung, welche Kreatur im Wasser hauste, was die Zwerge in tiefen Schlaf versetzt hatte, noch welche Gestalt vor ihr geflüchtet war. Der Tümpel hatte den Wald verändert, bis in die tiefsten Strukturen seiner Natur. Möglicherweise ging eine Gefahr von ihm aus. Die Waldläuferin, die den Wald ihre Heimat nannte, wollte diese Nacht außerhalb der Bäume verbringen. Erleichtert atmete sie auf, als sie den Waldsaum erreichten. Die Stelle, an der sie den Weg verlassen hatten, mußte in der Nähe sein. Brandur und Boradin unterhielten sich gedämpft in Zwergisch. Ein paar Brocken der alten Spracheerstand sie. Sie unterhielten sich über ihre Träume.

Seylina vernahm lautes Schnaufen aus dem Stall. Buck wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Der Kater hatte sich in sicherer Entfernung in einer leeren Kiste zusammengerollt. Die Elfin legte Buck eine Hand auf die Schulter. Sein Gesicht war von Schweiß bedeckt, sein Mund formte unausgesprochene Worte, die Augen unter den dicken Liedern bewegten sich rasen schnell. Seylina rüttelte ihn sanft. Buck schnellte empor, hob schützend seine Arme vor das Gesicht und schrie. Der Kater fauchte und verschwand blitzartig aus dem Stall. Es dauerte eine Zeit bis Seylina den Burschen beruhigen konnte. Er weigerte sich, über seinen Alptraum zu sprechen, schaute sich immer wieder hektisch um, als ob der Traum ihn in die Realität verfolgen könnte. Seylina wog ihren nächsten Schritt ab. Buck war total verschreckt, vielleicht war es eine Chance, schlimmer konnte es kaum werden. Seylina zog ihre Kette mit dem Smaragd aus dem Ausschnitt. Buck starrte wie ein Kaninchen vor der Schlange auf das Schmuckstück: „Grüner Stein sehr böse. Macht böse Träume. Werft Stein weg.“ „Du glaubst, Dein Alptraum wurde von diesem Stein ausgelöst?“ fragte Seylina in melodisch ruhigen Tonfall. Sie legte Ruhe und Frieden in ihre Ausstrahlung, unterstützt von ihrer natürlichen Elfenmagie. Buck atmete sofort langsamer, seine Muskulatur entspannte sich: „Stein böse. Klein Lisa hatte böse Träume. Edda schenkte Lisa grünen Stein. Schöner Stein. Glitzern wie Schatz. Glatt wie Sense von Herrn. Lisa sehr froh. Schatz immer bei Lisa. Dann Lisa böse Träume. Buck warf Stein weg. Lisa böse mit Buck. Aber Lisa keine Angst im Schlaf. Lisa Buck nicht mehr böse.“ Bucks Blick veränderte sich, Tränen sammelten sich in seinen Augen: „Klein Lisa tot. Buck sehr traurig.“ Seylina verstärkte ihren Zauber. „Hat der Stein Lisa getötet?“ Buck schüttelte den Kopf: „Stein lange weg. Lisa fröhlich. Buck helfen bei Tieren. Dann krank. Dann tot.“ Der kräftige Bursche schniefte, wischte seine Nase am Ärmel ab und rieb mit seinen dicken Handballen seine Augen. „Wo hast Du den Stein weggeworfen?“ Buck überlegte, zuckte dann mit den Schultern und blickte unsicher zur Seite. Verlegen spielte er mit seinen Fingern. Voller Sanftmut wiederholte Seylina ihre Frage. Buck zog den Kopf ein. Er wurde sichtlich nervös. Seine Schultern zuckten: „Buck vergessen.“ Es war offensichtlich, daß er log. Seylina zog sich zurück. Sie tätschelte seine Schulter, riet ihm weiter zu schlafen und kehrte auf ihren Wachposten zurück. Sie schloss die Augen, kontrollierte ihren Atem, sammelte ihre Gedanken auf eine einzige Person, bis sie Charie vor ihren inneren Augen sah. Ihre Gedanken formten Worte, die Worte verdichteten sich zu Bildern, die sie auf die Reise schickte.

Charie hatte keine Chance, den schweren, schlaffen Körper des Stieres vom Weg in einen kleinen Graben zu zerren. Also sammelte sie trockenes Holz, schichtete es an Ort und Stelle um den Stier und schüttete die Flüssigkeit aus dem Tongefäß über den Kadaver. Sekunden später tanzten rote und blaue Flammen in der Nacht und verzehrten das Fleisch. Charie beobachtete das Lichtspiel des Feuers. Sie dachte an den Kampf mit dem Stier. Seine rasende Wut. Sein Schmerz. Die verrückte Reaktion der Zwerge. Boradins ungewöhnlicher Ausrutscher. Wie Brandur seinen Kameraden damit geärgert hatte, wie er auf einem kleinen Stein ausrutschen konnte. Auf einem Stein. Charie sah das Blinken. Die Bilder vermischten sich. Bilder einer Elfenbotschaft, die Bilder vor ihren Augen, der Weg, ein Funkeln, ein Reflexionen der Flammen, ein Stein. Charie bückte sich. Ihre Hand streckte sich hinab zum flackernden Weg. Ein Knurren! Aus tiefer Kehle! Aggressiv! Eine Welle von Wut prallte auf sie. Sie spürte sie in jeder Faser ihres Körpers. Unverhohlen, direkt, kalt. Charie erstarrte in ihrer Bewegung. „Ich bin kein Feind“, sprach sie langsam und sanft. Sie zuckte unter der nächsten Welle von Wut zusammen. Was für eine Kreatur war das. Lag es an dieser Krankheit. Das Knurren, war tief, aus einer Kehle eines Tieres, eines Wolfes. Wenn der Irrsinn ihn ergriffen hatte, wie den Stier, hatte die Elfin ohne Kampf keine Chance. Ihre Intuition suchte bereits den Weg zum Schwert. Das Knurren steigerte sich. Fast wie eine Warnung. Erriet der Wolf ihre Gedanken? Sollte sie sich setzen? Sich ihm mit klarer Geste ausliefern, Sanftmut zeigen. Bei einem tollwütigen Tier wäre es ihr Verderben. Charie schwankte unsicher zwischen den Gedanken. Langsam richtete sie sich auf. Etwas streifte ihre Hand. Sie spürte struppiges Fell. Im Feuerschein schritt ein majestätischer Wolf neben sie. Seine Schulter reichte bis zu ihren Hüften. Was für ein Tier. Sie hielt den Atem an. Das Gefühl der Wut wandelte sich in Groll, bevor es sich vollständig verflüchtigte. Das Knurren verstummte. Tatzen trotteten weg von ihr. Der Wolf neben ihr schmiegte seinen riesigen schwarzen Kopf an ihre Seite, drehte sich, löste die Verbindung und folgte der anderen Kreatur in die Dunkelheit. Diesmal stand Charie bewegungslos vor Erstaunen. Was ging hier vor? Was war mit den Tieren los? Den Menschen? Welche Kraft veränderte das Gefüge? Zumindest gab es auch eine friedliche Seite in diesem Mysterium.

„Bei allen Rubinen des Amboß, das Signalfeuer könnte kein Gossenzwerg übersehen!“ Die laut dröhnende Stimme von Boradin erschreckte Charie erneut. Sie ballte die Fäuste, ärgerte sich über sich selbst und lachte dann unvermittelt los. Sie hatte zu viel Zeit unter den Menschen verbracht, wenn sie solch menschliche Emotion entwickelte. Boradin donnerte weiter: „Soso, die werte Elfendame findet es komisch. Hängt vielleicht Moos in meinem Bart?“ Eines war klar – ein Zwerg würde ein Zwerg bleiben. Weiter lachend, entschuldigte sich Charie bei den Zwergen, begrüßte Nijura und man tauschte sich schnell über die Geschehnisse des Tages aus. Am Ende standen mehr offene Fragen als Antworten im Raum, jedoch gab es ein paar klare Ansätze, wie sie der Spur des Rätsels folgen konnten. Gemeinsam machten sie sich auf zum Gehöft.

Das Feuer verlor seine Kraft, die Glut im Holz erlosch. Im Schatten hob eine Hand einen glatten, grünlichen Stein auf. Die zweite Hand wischte den feinen Staub von der Oberfläche. Der ovale, flache Stein glitzerte in einem satten dunklen Moosgrün. Er war schwer, ohne einen einzigen Kratzer, glatt und kalt. „Du entwischt mir nicht!“ Mit diesen Worten lief Charie ihren Gefährten hinterher.

 16.Eintrag

Seylina hielt Wache. Das erste Licht kroch träge über den Morgennebel der über den Feldern lag. Charie lag eingekuschelt in zwei Decken und blinzelte ihre Gefährtin an. Nijura schlief mit unruhigen Atemzügen neben ihnen, während die beiden Zwerge den Stall vorgezogen hatten. Charie lächelte der hochgewachsenen, schlanken Elfin zu, schloß die Augen und flüsterte auf Elfisch: „Noch ein bisschen.“ Seylina hob den Kopf. Sie hatten keinen Grund zur Eile. Sollten die anderen weiter ruhen. Sie erhob sich, begrüßte in der typischen Sitte der Waldelfen den Morgen mit einem Dank an die Natur und kontrollierte die Umgebung. Die ersten Vögel zwitscherten ihr Lied, auf den Feldern zogen die Umrisse einiger Rehe durch den Nebel, das Zirpen zweier Grillen kündigte ein Liebesspiel an. Weit entfernt klapperten beschlagene Hufe über den Karrenweg. Seylina erkannte an dem Ton und Rhythmus einen einzelnen Reiter, der im langsamen Galopp am Gehöft vorbei ritt. Sein Ziel musste das Dorf sein. Das Geräusch schwächte ab. Seylina schürte das Feuer, legte neues Holz nach und griff nach ihrem Bogen. Ein paar kleinere Feldbewohner würden zum Frühstück sicher munden.

Nijura schlief am Morgen schlecht. Sie döste unruhig, weil ihr immer wieder die Träume der Zwerge in den Sinn kamen. Sie hatte zu wenig vom dem zwergisch verstanden, um ein Bild zu bekommen. Nijura wusste, Träume waren für die kleine, stolze Rasse etwas ganz Besonderes. Umso mehr Bedeutung schenkten sie ihnen. Brandur hatte den Namen der Waldläuferin erwähnt. Nijura war extrem neugierig, was sie in seinem Traum getan hatte. Außerdem machte sie sich ein wenig Sorgen, denn Brandur war den Rest des Abends bedrückt gewesen. Sie würde ihn beim Frühstück darauf ansprechen. Möglicher Weise steckte mehr dahinter als ein schlichter Traum. Vielleicht war es aber auch nur der Schmerz seiner Rippe, die der Stier verletzt hatte und der Zwerg nie zugeben würde, wie sehr sie ihn zu schaffen machte. Sie schüttelte den Kopf, um ihn von Gedanken freizubekommen. Charie flüstere etwas auf Elfisch und drehte sich auf die andere Seite. Die Waldläuferin schmunzelte: Eine Auelfe als Langschläferin. Aus dem Stall huschte der schwarze Kater auf Nijura zu. Er kam ohne Scheu näher, schmiegte sich an ihren Schenkel und maunzte. Nach einem kleinen Spiel mit einem Lederband erspähte „Herr Kasim„ eine unvorsichtige Feldmaus, die eine bessere Option versprach als ein Stück totes Leder. Nijura gähnte herzhaft, streckte sich und vertrieb den Schlaf aus ihren Gliedern.

Das Genörgel aus dem Stall läutete das Ende der Ruhephase ein. Boradin, Brandur und Buck polterten aus dem Stall. „Ich esse keine Katzen“, murrte Boradin. Brandur hielt sich die Seite, während er schläfrig ergänzte: „ Ich würde darauf kein Kupferstück setzen, wenn er richtig Hunger hat, dann sind Ratten lecker.“ Boradins Bartringe klirrten. „Ratten, ja, mit ein wenig Harkunskraut über dem Feuer gegrillt munden gut.“ Buck starrte mit offenen Mund auf den Zwerg hinunter: „Ratten nicht gut. Machen krank. Ratten essen schlecht.“ Boradin lachte: „Mach Dir mal keine Sorgen, Kleiner, wir Zwerge haben einen verdammt kräftigen Magen.“ Nijura brach in einen heftigen Hustenanfall aus. Bei dem Versuch, ihr Lachen bei dem Wort „Kleiner“ zu unterdrücken, hatte sie sich dermaßen verschluckt, dass ihr die Luft weg blieb. Boradin reichte Buck grade bis zum Bauch. Die kräftigen, gutgemeinten Schläge Brandurs auf Nijuras Rücken, erreichten, was das Luft bekommen betraf, eher das Gegenteil. Charie öffnete ein Auge, sah das übliche morgendliche Durcheinander der Gruppe, was bedeutete, es war alles in Ordnung und entschloss sich, gemütlich wach zu werden. Als Nijuras Gesicht zurück zur normalen Farbe gelangte, kam Seylina mit zwei Hasen zurück. Sie versicherte, das Fleisch wäre nicht vergiftet. Man speiste, packte die Sachen, prüfte die Waffen, Buck fing den Kater ein und nachdem alle abmarschbereit waren, machten sie sich auf den Weg zum Dorf.

 17.Eintrag

Der Gesang der Vögel weckte Edda aus ihrem unruhigen Schlaf. Draußen hörte sie erregte Stimmen. War es der Nachhall des vergangenen Abends? Eine Handvoll kaltes Wasser vertrieb die Müdigkeit. Die Bardin begab sich in das vordere Zimmer ihrer Behausung. Zenia Zorkana war weg. Die Schlafdecke sauber aufgerollt, daneben Becher, Holzbrett und ein frischer Apfel. Wo Lady Zorkana den her hat, überlegte Edda, als der Streit zweier Männer wieder an ihr Ohr drang. Sie kannte die Stimmen: Der Dorfvorsteher Nurbart und der Edle Waldfried, dem Landvogt, dem das Gebiet unterstellt war. Steuern nahm er sehr ernst, alles andere war ihm egal. Wie oft hatten sie ihn in den letzten Wochen um Hilfe gebeten. Manchmal kam eine Ausrede, oft gar keine Antwort. Nurbart hatte überlegt, zum Fürsten zu gehen, als der Heiler Franzibian gestorben war, aber niemand glaubte ernsthaft, dass von dort Hilfe geschickt werden würde für eine Handvoll Leute einer unbedeutenden Gegend. Charlott Lunigan war daraufhin zu einem Tempel in der nächsten Stadt losgezogen, in der Hoffnung, ein Geweihter wäre gnädiger den Armen gegenüber. Charlott war seit - Edda überlegte - einem Mondlauf unterwegs. Ihr Gefährte Tarnison machte sich langsam Sorgen, aber bei den beiden konnte alles passieren. Sie waren oft lange weg, manchmal dachte niemand mehr, sie würden zurückkehren und dann traf man sie unvermittelt am nächsten Morgen im Gasthaus beim Erzählen ihrer Abenteuer. Die Worte auf der Straße wurden lauter. Edda schob den kleinen Vorhang zur Seite uns späte durchs Fenster. Der Edle Waldfried trieb Nurbart vor sich her. Es ging um die Abgabe des Sommers - um was sonst. Wenig Geld war zusammengekommen. Die Ernte war dünn, etliche Tiere gestorben, viele Bewohner weggezogen, viele tot. Aber was interessierte das den Vogt. So in Rage war er aber bisher noch nie geraten. Er hatte sein Schwert gezogen und Nurbart stolperte rückwärts die Dorfstraße hinunter, vorbei an dem leeren, verrammelten Haus der Händlerin Fuchs. Edda griff nach ihrem Umhang. In der Hektik blieb sie mit dem Arm an einen der alten rostigen Haken hängen. Er riß ihr tief ins Fleisch. Blut quoll hervor, tropfte auf den Boden.

„Ich bitte Euch Wohlgeboren Waldfried. Ich weiß, es fehlt mehr als die Hälfte. Aber wir haben zusammengetragen, was wir entbehren können“. Nurbart wich entschuldigend weiter zurück. „Betrüger“, knurrte Waldfried. Sein Schwert schwang knapp an der Brust des Dorfvorstehers vorbei. „Ihr bereichert Euch an den armen Menschen, die Euch vertrauen.“ „Ich tue was?“, entrüstete sich Nurbart. Der Vogt schien rasend zu sein. Waldfried kam näher: „Ich sehe es an Eurer prunkvollen Kleidung, Eurem edel eingerichteten Haus und Eurer Dienstboten. Wie kann man sich das in einem so winzigen Dorf leisten, frage ich Euch.“ Nurbart war verwirrt. Er lebte allein in seinem Haus und sein rotbrauner, abgetragener Amtsmantel war keinen Heller wert. Rasch duckte sich der kleine behäbige Mann unter einem Schwertschwinger. Er hatte wenig Zweifel über das beabsichtigte, fatale Ziel des Schlages. Schweiß trat auf seine Stirn. Er war kein Kämpfer, niemand im Dorf, außer den Lunigans, besaß ein Schwert. Er wollte nach Hilfe rufen. Sinnlos. Wer würde gegen den Landvogt seine Stimme, geschweige seine Hand erheben. Der Edle stürmte vor, Nurbart stolperte, fiel auf seinen Rücken, hob verzweifelt schützend seine Hände vor seinen Körper, erwartete den tödlichen Hieb.

Er hörte den Aufprall von Stahl. Vor seinen Augen kreuzten sich zwei Klingen. Die blitzende, blankpolierte Klinge des Edlen war von einem verzierten, bläulich-silbernen Krummschwert aufgehalten worden. „Wie könnt ihr es wagen, gegen mich, den Wohlgeborenen Waldfried, den Vogt des Landes, das Schwert zu erheben?“, keuchte Waldfried. Der Druck auf sein Schwert wurde unerhört stark. „Ich brauche dafür keine Erlaubnis!“, entgegnete eine harte Frauenstimme. Der Edle hob seinen Blick und traf die Augen von Zenia Zorkana. Er setzte zu einer weiteren Entgegnung an. Doch was er in den Augen der Frau sah, belehrte ihn eines Besseren. Er sah nichts weiter, als seinen Tod. Ohne ein Wort drehte er sich um und rannte um sein Leben. „Als ob eine Hochwohlgeborene einen Edlen fragen müsste“, rief Zenia dem Fliehenden schnippisch hinterher.

„Habt Dank Ihro Gnaden für die Rettung meines Lebens. Der Edle war wie besessen.“ Zorkana reichte Nurbart ihre Hand und zog ihn hoch. Nurbart spürte die Kraft in ihren Armen. „Besessen von Gier. Und krank. Ihr werdet ihn kaum wieder sehen“, spekulierte Zenia. „Wie meint Ihro Gnaden das?“, wollte Nurbart wissen. „Was ist an meinen Worten schwer verständlich? Er ist dem Tod geweiht“, erklärte Zenia mit einem Anflug von Ärger. Der Dorfvorsteher runzelte die Stirn. Zenia seufzte. Besonders deutlich sagte sie: „Er wird sterben, Futsch, Kaputt, Tod!“ Nurbart nickte nur: „Das hab ich wohl verstanden, aber woher wollt Ihro Gnaden das Wissen?“ „Bei den Göttern, lasst dieses Ihro Gnaden, bitte!“ forderte Zenia unbeherrscht. Nurbarts Durcheinander steigerte sich in ein Chaos. „Ihr seid von adligem Stand und wollt …“ Zenia schnitt ihm das Wort ab. „Ich frage mich ernsthaft, warum ich noch hier bin.“ Dabei stampfte sie wie ein kleines Mädchen mit einem Fuß auf den Boden.

Beide wurden abgelenkt. Edda betrat die Straße, den Arm provisorisch mit einem Tuch umwickelt. Ein kleiner roter Fleck zeichnete sich auf dem Stoff ab. „Ihr habt uns wieder geholfen, Lady Zorkana.“ Zenia atmete mehrmals tief durch. Nurbart erkannte die Bardin: „Edda Du bist ganz bleich. Dein Arm?“ fragte er besorgt. „Halb so schlimm, ein dummer Haken.“ Bei den Worten schwankte die Bardin. Ihr wurde schwindlig. Übelkeit stieg auf. Sie schluckte. Nurbart rannte auf sie zu. „Warum, warum seid Ihr noch hier?“, wollte Edda von Zorkana wissen. Es war kaum mehr als ein Flüstern. Blut befleckte ihre Lippen. Ihre Füße gaben nach. Sie sackte in die Arme des Dorfvorstehers. Zenia blickte auf die beiden. Ihre Augen verengten sich, ihre Gesichtsmuskeln spielten. „Eine Rechnung, die ich zu begleichen habe“, fauchte Zenia fast unhörbar.

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Inhalt Beilunker Reiter 29.03.2014